Sie wisse eigentlich gar nicht, was sie sagen soll, meinte Patty Schnyder unmittelbar nach dem verwandelten Matchball, der sie zur ersten ungesetzten Siegerin des Zürcher Turniers machte. Kaputt sei sie, aber überglücklich, ergänzte sie, und sprach danach von der "schönsten Woche meiner bisherigen Karriere". Das mit gutem Grund, zumal sie erstmals ein Turnier der Tier-I-Klasse, der nach den Grand Slams am höchsten eingestuften Kategorie, für sich entschied. "Unglaublich" war der Triumph für die 23-Jährige zudem, weil er vor heimischem Publikum, in der Halle ihres Eishockey-Lieblingsvereins Kloten Flyers, und sozusagen aus dem Nichts zustande kam.
Dritte Schweizer Siegerin
Nicht einmal Patty Schnyder selber hatte sich einen solchen Exploit zugetraut. "Wenn mir jemand zuvor prophezeit hätte, ich würde das Turnier mit einem Finalsieg gegen Lindsay Davenport gewinnen, hätte ich das als absurd abgetan. Ich wäre schon froh gewesen, die zweite Runde zu überstehen." Dass sie "wenig bis gar nichts" erwartet hatte, kommt nicht von ungefähr; in zuvor acht Anläufen war sie in diesem Turnier nie über die 2. Runde hinaus gekommen und hatte bei ihren Niederlagen meist einen inferioren Eindruck hinterlassen.
Patty Schnyder ist in dem seit 1984 ausgetragenen Turnier erst die dritte Schweizer Siegerin. Martina Hingis hatte im Jahre 2000 gewonnen, nachdem sie 1999 und 1996 im Endspiel gescheitert war. Manuela Maleeva Fragnière sicherte sich die Siegprämie 1993. Im ersten Anlauf fünf Jahre zuvor hatte die gebürtige Bulgarin ebenfalls nicht reüssiert.
Im ausgeglichenen Final zeigte Patty Schnyder noch einmal grosse Moral und jene Kämpferqualitäten, die sie schon in den voran gegangenen Tagen ausgezeichnet hatten. Sie liess sich weder nach dem unglücklich verlorenen Startdurchgang, in dem sie bei 5:4 als Rückschlägerin hintereinander drei Chancen zur Satzführung vergeben hatte, noch von einem Matchball, den sie im Tiebreak des zweiten Abschnitts gegen sich hatte, von ihrem Erfolgspfad abbringen. "Am Ende haben zwei, drei Punkte den Ausschlag gegeben", meinten beide Finalistinnen richtigerweise übereinstimmend nach dem 2:16 Stunden dauernden Fight. Den knappen Ausgang fördert auch die Statistik zu Tage: Bei den gewonnenen Punkten hatte Patty Schnyder die Nase mit 122:119 vorne.
Im sechsten Vergleich mit Lindsay Davenport kam Patty Schnyder endlich zum ersten Sieg. Sie fügte der Kalifornierin zudem eine der raren Niederlagen auf Schweizer Boden zu. Die Vorjahressiegerin hatte in Kloten schon 1997 und 1998 den Siegercheck abgeholt. Als Verliererin war sie von der Swisscom Challenge zuvor erst einmal abgereist; im Jahre 2000 war sie ebenfalls im Final Martina Hingis unterlegen. Zudem hatte Lindsay Davenport schon 1993 und 1994 in Luzern gesiegt, nachdem sie bei ihrem Start in der Innerschweiz in der 1. Runde (gegen die Italienerin Linda Ferrando) ausgeschieden war.
Die sympatische Amerikanerin zeigte sich als faire Verliererin. Die Fussverletzung, die sie sich tags zuvor im Halbfinal gegen Justine Henin zugezogen hatte, habe sie nicht behindert, sagte Davenport später. "Ich habe vor dem Final ein Schmerzmittel eingenommen. Das hat gereicht." Lindsay Davenport wird gleichwohl auf das Turnier von dieser Woche in Linz verzichten. "Ich bin müde und möchte mich vor dem Masters noch etwas erholen." Patty Schnyder hatte sich gestern noch nicht entschieden, ob sie nach Österreich reisen wird.
Masters-Qualifikation
Die Baslerin hat sich mit ihrem insgesamt achten Turniersieg, dem ersten seit vergangenem November in Pattaya (Thai), nicht nur die satte Börse von 182 000 Dollar, sondern auch das Ticket für das Masters von Anfang November in Los Angeles gesichert: "Dass ich das noch geschafft habe, ist für mich eine Mega-Überraschung." In der Jahreswertung war sie vor der Swisscom Challenge an 21. Stelle gelegen, nun hat sie sich wieder unter die ersten 16 vorgekämpft, die beim Finale einen Platz auf sicher haben. Dieses Jahr wird zumindest der 17. Rang zur Masters-Teilnahme reichen, zumal Martina Hingis (10.) ihre Saison vorzeitig beendet hat. In der neuen Weltrangliste wird sich Patty Schnyder von der 19. in etwa auf die 13. Position verbessern.
Patty Schnyders Leistungen haben sich verständlicherweise auf das gesamte Turnier positiv ausgewirkt. Sie hat zweifellos am meisten dazu beigetragen, dass der Event am Schluefweg -- trotz der Absagen der Weltranglisten-Ersten Serena Williams und von Martina Hingis -- in der gesamten Schweiz zum Thema wurde. Turnierdirektor Beat Ritschard war mit der 19. Edition grundsätzlich zufrieden. "Allerdings gibt mir zu denken, dass bei einem Final Schnyder - Davenport die Halle nicht voll war."
(David Bernold/sda)