Theaterstück über Flugzeugkatastrophe

So bricht die Flugzeugkatastrophe von Überlingen über die Vier herein. Anstatt im unschulds-weissen Sportdress beim Minigolf-Turnier auszuspielen, wer das Luxus-Hotel bezahlen muss, werden die Urlauber mit Schuld, Verantwortung und Vergebung konfrontiert.

«Menschliches Versagen» heisst das Stück, das die Tragödie von 2002 mit 71 Toten erstmals auf eine Theaterbühne bringt.

Die Uraufführung im Konstanzer Stadttheater kam am Freitagabend beim Publikum gut an. Einzelne Buhrufe gingen unter dem langanhaltendem Applaus unter.

Schweizer Autor

Der Schweizer Lukas Holliger hat das Stück als Auftragswerk für die Konstanzer Bühne geschrieben. «Das Theater hat die Chance, traumatische Verhältnisse noch einmal zu benennen oder neue Blicke dafür zu finden», sagt Intendant Christoph Nix.

Im Juli 2002 waren eine russische Tupolew-Passagiermaschine mit 69 Insassen, unter ihnen Dutzende Kinder, und eine DHL-Frachtmaschine mit zwei Piloten kollidiert. Gerichte haben die Schweizer Flugsicherung Skyguide schuldig gesprochen - wegen technischen und menschlichen Versagens.

Der Fluglotse der Unglücksnacht wurde später von einem russischen Hinterbliebenen aus tiefer Verzweiflung über den Verlust seiner Familie umgebracht. Der Russe hatte um eine Geste der Verzeihung geradezu gebettelt. Doch eine Entschuldigung für das Leid blieb ihm versagt, weil die Verantwortlichen darin ein Schuldeingeständnis mit juristischen Schadenersatzansprüchen sahen.

Die Katastrophe hat bereits den Stoff für einen Kinofilm geliefert. Ein Fernsehfilm in Koproduktion des SWR mit dem Schweizer Fernsehen soll im Herbst in der ARD laufen.

Stück auf zwei Ebenenen

Der 37-jährige Dramatiker Holliger verzichtet auf chronologisches Erzählen und Betroffenheits-Dokumentation. Vielmehr verknüpft er in dem 90-minütigen Bühnen-Einakter zwei Ebenen - die des Kreta-Urlaubs mit dem Flugzeugunglück.

Er lässt die Ehepaare abwechselnd in die Rollen der Verantwortlichen schlüpfen, die alle das Unglück hätten verhindern können. So ist Rolf einmal der verantwortliche Fluglotse, einmal der Tupolew-Co-Pilot, während ein Hotelpage den russischen Familienvater verkörpert.

In seinem Stück spürt der Autor vor allem der Frage nach, ob Versagen in unserer hochtechnisierten Welt überhaupt noch Platz findet. «Ich habe unmenschlich versagt», klagen die Protagonisten. Doch ist nicht das Versagen «das prominente Merkmal der Menschheit?» Wollen wir Maschinen sein, damit Leid und Tod aus unserem Leben verschwinden?

Dabei spart Holliger nicht mit Seitenhieben auf sein Heimatland, in dem «Pünktlichkeit und Genauigkeit zu den höchsten Tugenden zählen», wie er sagt.

Das Bühnenbild symbolisiert das Gegenteil einer perfekten Welt. Die Darsteller sind in eine Art Kubus eingesperrt, der in der Luft zu hängen scheint. Ein Entrinnen ist nur über fünf kleine Öffnungen möglich. Sie haben die Form von weissen Schweizer Kreuzen.

(li/sda)