Über Nathan hinaus weise weiter denken

publiziert: Donnerstag, 20. Mrz 2014 / 08:39 Uhr / aktualisiert: Sonntag, 23. Mrz 2014 / 07:35 Uhr
Lessings Ringparabel: Die dort formulierte Toleranz ist von der hiesigen Realität überholt worden.
Lessings Ringparabel: Die dort formulierte Toleranz ist von der hiesigen Realität überholt worden.

Der Ständerat hat gestern eine Motion von Hans Altherr (FDP AR) abgelehnt, die einen «Toleranzartikel» für die Bundesverfassung gefordert hat. Das ist richtig so: Toleranz unter Religiösen ist hierzulande nämlich zunehmend eine Toleranz unter Minoritäten, da eine wachsende Mehrheit der Bevölkerung (auch der MigrantInnen) den Religionen distanziert gegenüber steht. Dem sollten auch Regierung und Verwaltung vermehrt Rechnung tragen.

1 Meldung im Zusammenhang
Seit 1999, seit die revidierte Bundesverfassung in Kraft ist, gab es verschiedene Versuche, die Stellung der Religionen in der Schweiz in der Bundesverfassung zu regeln. Bereits kurz nach der Revision lancierten die Reformierten die Idee eines Religionsartikels, welcher eine anerkennende Würdigung der Religionen durch den Staat zum Ausdruck bringen sollte. Zur Initiative konnten sich die Reformierten nie durchringen - wohl aus der Einsicht, dass ihre Idee im Volk nicht mehrheitsfähig sein könnte. Aber auch entsprechende Standes- und parlamentarische Initiativen sind mittlerweile vor allem am Ständerat gescheitert. Erfolgreich war 2009 das Minarettverbot, das trotz Ablehnung durch das Parlament, die «Landeskirchen», die Mehrheit der Parteien und auch der Freidenker angenommen wurde. Als Reaktion darauf hatten die Juristen Paul Müller und Daniel Thürer die Idee eines «Toleranzartikels» in die Diskussion gebracht, die nun von Ständerat Altherr portiert wurde.

Wer im deutschsprachigen Raum mit dem Begriff «Toleranz» operiert, bezieht sich bewusst auf Lessings «Nathan der Weise» und die darin enthaltene «Ringparabel», oder nimmt zumindest in Kauf, dass dieser Bezug gemacht wird, nachdem Lessings Werk zum Bildungsgut der Nachkriegsgeneration gehört. Lessings Drama stammt jedoch aus dem 18. Jahrhundert. Die Ringparabel erzählt, wie ein Vater den «Ring der Wahrheit» nicht unterscheidbar duplizieren liess, um seine drei Söhne nicht ungleich zu behandeln. Durch diese Unsicherheit sollte der Fetisch von der Wahrheit entkoppelt, oder sollten eben bei Lessing die drei monotheistischen Religionen einander gleichgestellt werden. Die Frage, welche Religion die wahre sei, wird als nicht beantwortbar offen gelassen: In der gelebten Humanität müsse sich die Glaubwürdigkeit der Religionen bewähren.

Der Interpretationen von Lessings Drama gibt es viele: Peter Sloterdijk weist in Gottes Eifer: Vom Kampf der drei Monotheismen der Ringparabel eine Schlüsselstellung bei der «Domestikation der Monotheismen» zu. Thomas Meyer bezeichnet in seiner Abhandlung Die Ironie Gottes. Religiotainment, Resakralisierung und die liberale Demokratie die Ringparabel als das «Lessing'sche Minimum», als eine wesentliche philosophische Grundlage des friedlichen Zusammenlebens in einer säkularen Demokratie.

Zukunftsorientierter ist jene des katholischen Theologen Rudolf Laufen, der in Gotthold Ephraim Lessings Religionstheologie - eine bleibende Herausforderung in der Ringparabel einen Rat des Theologen Lessing «für eine friedlich-tolerante Koexistenz, für einen Modus Vivendi der positiven Religionen, solange sie noch existieren» sieht und dies im Licht von Lessings Schrift «Die Erziehung des Menschengeschlechts» von 1780 überzeugend als «Interimslösung» versteht und keineswegs als Modell für eine Verfassung des 21. Jahrhunderts.

Wenn in der Schweizer Verfassung etwas geändert werden sollte, dann die Präambel. Deren Gottesbezug stellt die Weichen falsch und verleitet die Religiösen immer wieder dazu, die Verfassung als christlich inspiriert und geprägt darzustellen.

Lessings Modus Vivendi hingegen taugt heute in der Schweiz nur noch für den interreligiösen Dialog. Toleranz unter Religiösen ist hierzulande jedoch zunehmend eine Toleranz unter Minoritäten, da eine wachsende Mehrheit der Bevölkerung (auch der MigrantInnen) den Religionen distanziert gegenüber steht. Dem sollten auch Regierung und Verwaltung vermehrt Rechnung tragen: Toleranz unter den drei abrahamitischen oder auch mit weiteren Weltreligionen kann nicht der Standard einer mehrheitlich säkularen Gesellschaft in der Schweiz sein. Lessing hat vor- und über Nathan hinaus weise weiter gedacht.

Der säkulare Staat muss die religiösen Auffassungen seiner BürgerInnen im Rahmen der Schranken des Rechts tolerieren, aber die Zuschreibung der BürgerInnen zu religiösen Gruppierungen unterlassen und sich nicht an deren Auseinandersetzung um letzte Wahrheiten beteiligen.

Insofern ist die geplante Anschubfinanzierung des Bundes für einen zusätzlichen Islam-Lehrstuhl an der Universität Fribourg abwegig: Er wird der säkularen Realität in diesem Land in keinster Weise gerecht. Wenn überhaupt etwas errichtet werden sollte, dann gefälligst auf Kosten der bestehenden, massiv überdotierten Theologielehrstühle und nicht auf zusätzliche Kosten der mehrheitlich religiös abstinenten SteuerzahlerInnen.

(Reta Caspar/news.ch)

Lesen Sie hier mehr zum Thema
Bern - Mehrere Mitglieder des Club ... mehr lesen 38
Der Club Helvetique will die Grundlage für eine erfolgreiche Volksinitative legen.
.
Digitaler Strukturwandel  Nach über 16 Jahren hat sich news.ch entschlossen, den Titel in seiner jetzigen Form einzustellen. Damit endet eine Ära medialer Pionierarbeit. mehr lesen 21
Händeschütteln: Zum Schutz von sich selbst und anderer diese Tradition aufgeben?
Händeschütteln: Zum Schutz von sich selbst ...
Kein Zusammenprall der Zivilisationen sondern der Fundamentalisten ist es, wenn ein von Pubertierenden verweigerter Handshake hierzulande zur Staatsaffäre wird. mehr lesen 
Secondos haben vor ein paar Jahren vorgeschlagen, die Schweizerfahne durch die Tricolore der Helvetischen Republik zu ersetzen. Das ging selbst fortschrittlichen Politikerinnen zu weit. Warum? Symbole haben sich in der Geschichte immer wieder verändert - weil sich die Lebensrealität verändert hat. mehr lesen  
Die Politologin Gina Gustavsson von der Universität Uppsala hat die Argumentationen im Karikaturenstreit analysiert. Sie stellt fest, dass in dieser Debatte den religionskritischen Äusserungen vorschnell ein aufklärerischer ... mehr lesen
Jyllands Posten Kulturchef Flemming Rose: Nicht Vertreter des aufklärerischerischen sondern des romantischen Liberalismus
Sexuelle Belästigung: «Frauen sollten sich deshalb niemals der Illusion hingeben, gleichzeitig beschützt und frei zu sein.»
Die Vorkommnisse in der Silvesternacht in Köln und in anderen Städten geben einer besonderen Sorte von Zeitgenossinnen und -genossen Auftrieb: Frauenbeschützern, die einheimische ... mehr lesen  
Typisch Schweiz Der Bernina Express Natürlich gibt es schnellere Bahnverbindungen in den Süden, aber wohl ...
Die Nike Air Jordan 13s kamen 1998 heraus.
Shopping Erreichen Air Jordan Sneaker 2-4 Mio. Dollar in der Versteigerung? Ein Paar Turnschuhe, das Geschichte geschrieben hat, steht zum Verkauf: Die Nike Air Jordan 13s, die Michael Jordan in seiner letzten ...
Erstaunliche Pfingstrose.
Jürg Zentner gegen den Rest der Welt.
Jürg Zentner
Frauenrechtlerin Ada Wright in London, 1910: Alles könnte anders sein, aber nichts ändert sich.
Regula Stämpfli seziert jeden Mittwoch das politische und gesell- schaftliche Geschehen.
Regula Stämpfli
«Hier hätte ich noch eine Resistenz - gern geschehen!» Schematische Darstellung, wie ein Bakerium einen Plasmidring weiter gibt.
Patrik Etschmayers exklusive Kolumne mit bissiger Note.
Patrik Etschmayers
Obama in Hanoi mit der Präsidentin der Nationalversammlung, Nguyen Thi Kim Ngan auf einer Besichtigungstour: Willkommenes Gegengewicht zu China.
Peter Achten zu aktuellen Geschehnissen in China und Ostasien.
Peter Achten
Recep Tayyp Erdogan: Liefert Anstoss, Strafgesetzbücher zu entschlacken.
Skeptischer Blick auf organisierte und nicht organisierte Mythen.
Freidenker
 
Stellenmarkt.ch
  • Freie Stellen aus der Berufsgruppe Psychologie, Psychiatrie
  • DIPL. PFLEGEFACHFRAU / PFLEGEFACHMANN HF 80-100%
    Zug - AUFGABENGEBIET Umsetzung des pflegerischen Auftrages im Rahmen des Pflegeprozesses und der... Weiter
  • Fachperson Gesundheitsbildung und Prävention (80 %)
    Zug - Ihre Aufgaben Inhaltliche-konzeptionelle sowie organisatorische Verantwortung für Workshops und... Weiter
  • Fachfrau / Fachmann Gesundheit 40-100%
    Seedorf - Ihre Aufgaben Ihre Aufgaben In Zusammenarbeit mit dem diplomierten Pflegepersonal organisieren und... Weiter
  • Psychologin / Psychologe 80 %
    Bolligen - Stellenantritt: Nach Vereinbarung Arbeitsort: Bolligen Der Psychologische Dienst der Kantonalen... Weiter
  • Pflegefachfrau / Pflegefachmann Gerontopsychiatrie HF/FH
    Kilchberg -