Über den Tod und den Sex

publiziert: Mittwoch, 26. Feb 2014 / 08:49 Uhr / aktualisiert: Mittwoch, 26. Feb 2014 / 09:20 Uhr
Öffentliche Gelder für opportunistische Dokuform: SRF's «Anno 1914»
Öffentliche Gelder für opportunistische Dokuform: SRF's «Anno 1914»

Vor 100 Jahren brach der Erste Weltkrieg aus. Das Schweizer Fernsehen inszeniert dazu einen Kulissenporno namens «anno 1914». Ernst Jüngers Weltkriegs-Buch «In Stahlgewittern» ist in einer kritischen Ausgabe erschienen und Nymphomaniac von Lars von Trier feiert in den deutschen Feuilletons hymnische Wolkenrezensionen. Höchste Zeit also, um über den Tod und den Sex nachzudenken.

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Das Schweizer Fernsehen übertrifft sich in seiner ethischen, politischen und ästhetischen Problementstellung. Eigentlich könnten Episoden wie «anno 1914» von Ihnen und mir völlig und mit Fug und Recht ignoriert werden, würde es sich nicht um öffentliche Gelder handeln, die für eine der opportunistischsten Dokuformen ohne Sinn und Wert verschleudert werden. «Living History» ist die Urform der kapitalistischen Erinnerungslosigkeit. «Living History» ist die grosse Unverschämtheit, welche sich allen Ernstes Geschichte und nicht Seifenoper nennt. Wäre «anno 1914» als Roman inszeniert, müsste man den Programmverantwortlichen gratulieren. Doch nein: Sie meinen es bitter ernst und da wird es für uns alle umso bitterer. Wer Geschichte «wie anno dazumal» wiederbeleben will, simuliert. Da wird Käse inszeniert, der wie Käse aussieht, dessen Löcher einigermassen sinnig verteilt sind, dessen Farbe auch ungefähr hinhaut, doch was wirklich serviert wird, entpuppt sich nicht als Käse, sondern im besten Falle als völlig erfundener Mist. Damit entlarven sich die Programmmacher als Idealtypen zeitgenössischer kapitalistischer Erinnerungslosigkeit, die jedoch national genug ist, um bei kommenden Überfremdungsinitiativen ihre Früchte zu tragen.

Dies führt uns direkt zu Jüngers unsäglichem Stahlgewitter, diesem dunstgeschwängerten Epos germanischer Feder, das auch heute gerne in den Feuilletons besungen und beklatscht wird. Schliesslich kann kein anderer als Ernst Jüger die männerbündische Möchtegernschwangerschaften in national triefender Kameradschaft, im heroischen Tod und kampferprobtem Schweiss auf den Punkt bringen. Erst jüngst wurde bekannt, dass Ernst Jüngers Werk immer nur in seiner nationalsozialistischen Version verbreitet wurde, während das Original von 1920 durchaus noch Unbeholfenheit und antiheroische Züge in sich trug. Da wird die «Venus, die Mars manchen Diener» entzieht, ersetzt mit: «Unserem Schutz fühlen wir die wahren, die geistigen Güter des Volkes anvertraut (..) solange noch im Dunkel die Klingen blitzen und flammen, soll es heissen: Deutschland lebt und Deutschland soll nicht untergehen.» Jünger wollte den Krieg «objektiv» erfassen und erhielt dadurch auch linken Beifall. So ein Quatsch. Als könnte der Krieg in seiner Sachlichkeit gegen weiteren Krieg ins Feld geführt werden. Und doch: Damals wie heute sitzen viele Intellektuelle genau dieser Entfremdung von jeder politischen Urteilskraft auf. Leerstellen, welche die wahre Weltverlorenheit kennzeichnen.

Dazu passt eben auch die Liebeslosigkeit in Lars von Triers «Nymphomaniac». Trier filmt das Totenbett des Vaters der «Heldin» durch ihre Schenkel, an denen ein Tropfen ihrer Feuchtigkeit herunterrinnt. Damit simuliert er sexuelle Empfindung eines - alles anderen als sexuellen Gefühls - nämlich die Trauer. Trier macht die explizite Pornografie so alltäglich, dass sie uns schliesslich nur noch zum Galgen führen will. Sex wie Tod wird bei Trier zum Tauschakt zwischen Neigungsgruppen. Bei Lars von Trier führt dies immer wieder zur eigentlichen Vernichtung jeder Würde von Weiblichkeit und menschlicher Integrität. «I discovered my cunt at the age of two» sagt die Heldin zu Beginn ihrer nach Moder riechenden Sexkarriere. Ja klar doch: weshalb vor irgendeinem Alter Halt rufen, wenn Menschen lebendige Münzen sind, welche sich nur noch in der triebgesteuerten Körperlichkeit manifestieren sollen? Die Kinderschänder dieser Welt wären die Ersten, die behaupten: «Sagen wir doch schon längst.» KotzWürgBrech - nur die Comicsprache kann hier das Gefühl angesichts solcher Szenen auf den Punkt bringen.

Philipp Stadelmaier schreibt in der Süddeutschen vom 20. Februar 2014 präzis von der «Raupe Nimmersatt», bei welcher sich «die tiefsten Schlünde sich gegenseitig penetrierender Erzählungen fressen wollen, um die labyrinthische Enzyklopädie unserer zunehmend bilderreichen und also entkleideten Welt zu erforschen.» Dabei wird die Pornografie, wie schon bei Pierre Klossowskis «La monnaie vivante» nicht mehr zum Tabu, sondern zur eigentlichen Richtschnur allen menschlichen Lebens.

Wenn wir nur genau genug hinsehen, sind wir damit auf einer ganz unbequemen Seite zeitgenössischer Entwicklung. Wie lässt Nietzsche seinen Zarathustra sprechen? «Und wer ein Schöpfer sein will im Guten und Bösen, der muss ein Vernichter erst sein und Werte zerbrechen. Also gehört das höchste Böse zur höchsten Güte: diese aber ist die schöpferische. (...) Ich bin der erste Immoralist: damit bin ich der Vernichter par excellence.» Wie dies in Kunst, Unterhaltung und politischer Praxis umgesetzt wird, erkennen wir nun an allen Ecken und Enden. Es wäre höchste Zeit, wenigstens mal ansatzweise ein Unbehagen über die zeitgenössischen Manifestationen dieser Sätze zu diskutieren.

(Regula Stämpfli/news.ch)

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