Fortschreitender Kulturland-Verlust

Unantastbarer Wald - zeitgemässer Schutz?

publiziert: Freitag, 20. Dez 2013 / 11:24 Uhr

Jede Sekunde geht in der Schweiz mehr als ein Quadratmeter Kulturland verloren - zehn Fussballfelder pro Tag. Oft handelt es sich um Fruchtfolgeflächen. Angesichts der rasanten Zersiedelung drängt sich die Frage auf, ob der restriktive Schutz des Waldes noch verhältnismässig ist.

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Der Verlust an Kulturland geht ungebremst weiter. Im flachen Mittelland, in der Umgebung der Agglomerationen, betrifft dies meist wertvolles Ackerland. Der Wald hingegen ist heiliggesprochen. Er darf nicht angetastet werden, und dies obwohl die Waldfläche in der Schweiz weiterhin zunimmt, um rund 4500 Hektaren pro Jahr, mehrheitlich in den Alpen. Die Waldfläche im Mittelland bleibt ungefähr stabil.

Erfolgreicher Waldschutz

Den Wald gesetzlich zu schützen war im Jahr 1876 das Gebot der Stunde. Damals drohte dem Wald Zerstörung: Rodungen für Landwirtschaftsflächen, Holzschlag für Brenn- und Bauholz waren die Ursachen - Erosionen und Überschwemmungen die Folgen. Etliche Gebiete, zum Beispiel in Italien, wurden unwiederbringlich gerodet und sind heute erodiert. Der vitale und wertvolle Schweizer Wald hingegen konnte in all seinen Funktionen gerettet werden. Das Forstpolizeigesetz ist ein erfolgreicher Zeuge einer frühen und weitsichtigen Umweltschutzpolitik.

Doch heute ist vieles anders: Der Brennholzverbrauch ist wesentlich kleiner, die Nachfrage nach Bauzonen hingegen ungleich grösser. Die Ausdehnung der Siedlungsräume erfolgt ausschliesslich auf Kulturland, wertvolle Fruchtfolgeflächen gehen verloren.

Ich habe nicht die Absicht, das eine gegen das andere auszuspielen, sondern die heutige Gesetzgebung zu hinterfragen. Punktuell und unter bestimmten Umständen sollten Ausnahmen möglich sein. Ausnahmen, die in einem Gesamtkonzept der Siedlungs- und Verkehrsentwicklung Sinn machen würden.

Projekt «Waldstadt Bremer» als Beispiel

Der 636 Hektaren (ha) grosse Bremgartenwald liegt am Rand der Stadt Bern, zwischen dem Länggassquartier und der Aare. Ein 43 ha grosser Streifen entlang dem urbanen Quartier wird durch die Autobahn A1 vom grossen Rest des Waldes abgeschnitten. Dieser Streifen ist verkehrstechnisch ideal erschlossen. Er schliesst auf seiner ganzen Länge an das Länggassquartier an, eines der am besten gelungenen Berner Stadtquartiere mit hoher Wohnqualität. Drei Buslinien erschliessen bereits heute das Areal, das 1,4 bis 2 Kilometer vom Hauptbahnhof Bern entfernt liegt. An dieser städtebaulich hervorragenden Lage ist eine Stadterweiterung in einer sonst kaum realisierbaren Grösse denkbar. Die «Waldstadt» liegt raumplanerisch wesentlich günstiger als jede andere Alternative. Wird die Waldstadt nicht realisiert, so wird über kurz oder lang Brünnen Süd eingezont, eine Fruchtfolgefläche gleicher Grösse rund sieben Kilometer westlich vom Bahnhof Bern.

Spannende städtebauliche Visionen

In der Waldstadt könnte Wohnraum für 6000 bis 8000 Bewohner erstellt werden. Aber nicht nur das! Die Uni Bern und die Pädagogische Hochschule Bern - beide in der Länggasse einen Steinwurf von der Waldstadt entfernt gelegen - fänden hier ihre Erweiterungsmöglichkeiten. Das gleiche gilt für die benachbarten Spitäler Lindenhof und die Insel, das grösste Spitalzentrum der Schweiz. Kurz: die Waldstadt öffnet Raum für städtebauliche Visionen.

Ausnahmen im Waldgesetz?

Doch dazu müsste das nationale Waldgesetz neu interpretiert, vielleicht sogar geändert werden. Eine Waldrodung ist heute nämlich nur möglich, wenn «überwiegende Interessen» dafür geltend gemacht werden können. Das Projekt, für welches eine Rodung beansprucht wird, muss genau auf diesen Standort im Wald angewiesen sein. Doch diese Frage ist in Bern umstritten. Ein weiterer Einwand lautet, dass die Berner Waldstadt kein Präjudiz für weitere, unkontrollierte Abholzungen werden dürfte.

Es stellt sich also die Grundsatzfrage, ob angesichts der rasanten Zersiedelung der restriktive Schutz des Waldes noch verhältnismässig und zeitgemäss ist. Ich bin davon überzeugt, dass das Waldgesetz Ausnahmen zulassen sollte, wenn sich ein Standort als deutlich besser erweist als alle andern. Für den Übergang in eine nachhaltige Entwicklung und für die langfristige Sicherung lebenswerter Siedlungen müssen wir ausgetretenen Pfade verlassen, Undenkbares denken, Unmögliches wagen. So ist das Projekt der Waldstadt Bremer zu verstehen.

(Alec von Graffenried/ETH-Zukunftsblog)

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