Unklare Klimaziele

publiziert: Mittwoch, 13. Jan 2016 / 11:49 Uhr / aktualisiert: Mittwoch, 13. Jan 2016 / 13:03 Uhr

In der breiten Öffentlichkeit gilt das Zwei-Grad-Ziel als universell gültige Grenze, die Wissenschaftler noch als sicher betrachten, um schädlichen Klimawandel zu vermeiden. Diese Wahrnehmung ist falsch. Das Zwei-Grad-Ziel ist weit weniger klar bestimmt als gemeinhin angenommen. Noch weniger klar ist, wie wir es erreichen.

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Seit einigen Tagen laufen in Paris die Verhandlungen über das nächste weltweite Abkommen zum Klimaschutz, welches das Kyoto-Protokoll ablösen soll. Das erklärte Fernziel ist, die Erwärmung der Erdatmosphäre auf zwei Grad gegenüber vorindustrieller Zeit zu beschränken. Aber wie klar ist dieses Klimaziel überhaupt? Und ist es als Ziel geeignet? Um diese Fragen dreht sich unser aktueller Perspective-Artikel «A scientific critique of the two-degree climate change target» im Wissenschaftsmagazin Nature Geoscience. 

Zwei Grad als (un)sichere Leitplanke

Das Zwei-Grad-Ziel ist zwar politisch etabliert und weitherum bekannt, wird aber oft falsch verstanden. Gemäss der vorherrschenden Meinung identifizierten Klimawissenschaftler zwei Grad als sicheres Ziel, mit dem ein gefährlicher Klimawandel verhindert werden kann. Das ist nicht korrekt: Es gibt keine wissenschaftliche Untersuchung, die zwei Grad Erwärmung je als sicher bezeichnet hätte.

Zum einen gibt es keine klare Grenze zwischen gefährlich und sicher. An einigen Orten und in einigen Bereichen ist der Klimawandel heute schon ein Problem, in anderen selbst bei drei Grad kaum. Zum andern lässt sich das nicht rein objektiv bewerten. Ein Gedankenexperiment: Wäre es gefährlich, wenn der Eisbär aussterben würde? Der Eisbär beeinflusst unser Leben kaum, und er hat in einer Kosten-Nutzen-Rechnung für viele wohl keinen hohen Preis. Aber er hat für viele einen emotionalen oder immateriellen Wert. Was gefährlich ist, ist immer auch ein Werturteil und liegt wie die Schönheit im Auge des Betrachters. Die Wahrnehmung von Risiken ist individuell: Die einen finden Fallschirmspringen toll, andere würden das nie im Leben wagen.

Unserer Meinungen nach ist die globale Oberflächentemperatur durchaus das am besten geeignete Mass für ein Klimaziel: Temperaturanstieg und totale CO2-Emissionen hängen praktisch linear zusammen, und für jedes Temperaturziel gibt es damit ein bestimmtes Budget an Emissionen. Welchen Zielwert man aber als sicher bezeichnen kann, lässt sich kaum beantworten.

Viele Fragen bleiben offen

Unklar ist zum Beispiel, wie graduell die Auswirkungen um zwei Grad sein werden. Wäre 10 Prozent über dem Ziel einfach 10 Prozent schlimmer? Gibt es lokale Kipppunkte im System, die plötzlich auftreten, wie etwa eine spontan ändernde Ozeanzirkulation, der Kollaps eines Ökosystems oder das Auftauen von Permafrost? Und mit welcher Wahrscheinlichkeit wollen wir das Ziel erreichen?  Die heute diskutierten CO2-Absenkpfade haben meist eine Wahrscheinlichkeit von bis zu 33 Prozent, dass wir das Ziel verfehlen. Bei Flugzeugen oder Kernkraftwerken werden Fehlerraten von weit weniger als eins zu tausend akzeptiert. Niemand würde in ein Flugzeug steigen, das mit 33 Prozent Wahrscheinlichkeit abstürzt. Welche Sicherheit wollen oder müssen wir haben, dass wir das Ziel nicht überschreiten? Auch dies ist wieder eine normative Frage, die die Wissenschaft nicht alleine beantworten kann. 

Alternative 1.5 Grad?

Vor kurzem hat die Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen (UNFCCC) in einem langen Prozess evaluiert, ob das Zwei-Grad-Ziel auf 1.5 Grad verschärft werden sollte (siehe Beitrag von Andreas Fischlin). Der Bericht kommt zum Schluss, dass zwei Grad Erwärmung alles andere als sicher ist, und wir versuchen sollten, soweit wie möglich darunter zu bleiben. Mit Blick auf die drohenden Auswirkungen mag das gerechtfertigt sein, aber machen wir uns nichts vor: 1.5 Grad sind höchstwahrscheinlich nur mit einer temporären Überschreitung und anschliessend negativen Emissionen zu erreichen. Negative Emissionen bedeuten, dass der Atmosphäre mehr CO2 entnommen wird als zugefügt - dass also die Sequestrierung die menschgemachten Emissionen übersteigt. Dies ist einerseits problematisch, weil wir so auf Kosten der Zukunft leben und die nächsten Generationen unser CO2 wieder «einfangen» muss - mit Technologien, die es heute noch nicht gibt, oder die schlicht zu teuer sind. Eine gefährliche Spekulation also. Zudem ist nicht klar, wie graduell das Klimasystem reagiert, und ob alle Auswirkungen reversibel sind.

Die Wissenschaft kann die Auswirkungen von 1.5 Grad, 2 Grad oder anderen Klimazielen durchaus zu einem gewissen Teil bestimmen und mit einer 4-Grad-Welt ohne Klimaschutz vergleichen. Viele Aussagen sind also objektiv möglich. Aber ähnlich wie ein Tempolimit von 120 km/h auf der Autobahn ist zwei Grad Erwärmung auch ein normatives Ziel, das wir als Gesellschaft festgelegt haben: ein Kompromiss zwischen Kosten, Nutzen und Risiken, der geprägt ist von persönlicher (und kollektiver) Wahrnehmung sowie vom Anspruch auf Fairness. Denn es wird nicht uns am ersten und stärksten treffen, sondern diejenigen die heute schon wenig haben.

Handeln müssen wir ohnehin

Die Realität ist: Unsere CO2-Emissionen bewegen sich im Moment am oberen Rand der Szenarien ohne Klimaschutz, und die von den Ländern für Paris vorgeschlagenen Reduktionen sind für das Zwei-Grad-Ziel ungenügend. Dass in Paris das uns noch verbleibende CO2-Budget aufgeteilt wird, daran glaubt niemand. Ein bedeutender Erfolg wäre schon, ein Abkommen unter Dach zu bringen, bei dem zum ersten Mal alle Staaten mitmachen.

Die Diskussion, ob das Zwei-Grad-Ziel das richtige und ob es noch erreichbar ist, soll also nicht vom wirklichen Problem ablenken: Die Welt muss handeln. Ziele zu vereinbaren, für die kein Politiker oder CEO je verantwortlich gemacht werden kann, ist einfach. Aber diese Ziele sind wertlos, wenn die Bereitschaft fehlt, die notwendigen Schritte zu machen, um sie zu erreichen. Uns steht ein langer, zum Teil noch unbekannter Weg bevor: Wir müssen uns jetzt einig werden, wo wir ihn beginnen - und nicht, wo wir ihn beenden.

(Prof. Reto Knutti/ETH-Zukunftsblog)

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