Unsittlicher Wellenschlag

publiziert: Dienstag, 18. Mrz 2014 / 11:40 Uhr / aktualisiert: Mittwoch, 19. Mrz 2014 / 08:23 Uhr
Imperia-Statue im Konstanzer Hafen: Provinzposse unter dem spöttischen Blick des Prostituierten-Denkmals.
Imperia-Statue im Konstanzer Hafen: Provinzposse unter dem spöttischen Blick des Prostituierten-Denkmals.

Wie es aussieht, hat seit vier Jahren auf dem Bodensee ein Skandal sondergleichen stattgefunden, ohne dass irgendjemand etwas davon bemerkt hat: In einer Sommernacht im August stach jeweils «das Schiff» ins Schwäbische Meer - mit Swingern an Bord! Jetzt hat dies die Konstanzer CDU offenbar bemerkt.

1 Meldung im Zusammenhang
Weiterführende Links zur Meldung:

Imperia
Vertiefte Info zur Imperia-Statue in Konstanz
wikipedia.de

Sogar die NZZ
Wo Schweizer Politiker auch noch ihren Käse zum Thema geben.
nzz.ch

Das Swingerschiff in der SZ
Ausführlicher Artikel in der Süddeutschen zum Skandalschiff
sueddeutsche.de

Südkurier zum Swingerschiff
Ein etwas früherer Artikel mit einigen interessanten Zitaten zu dem «Skandal»
suedkurier.de

St. Galler Tagblatt zum Thema
Tagblatt-Artikel mit der Frage ob ein Schweizer Schiff in Zukunft in Frage käme.
tagblatt.ch

In Zeiten wie diesen ist man mitunter wahrlich froh um eine nette kleine Provinzposse mit hyperventilierenden Provinzpolitikern. Da chartert ein bayrischer Event Veranstalter seit 2011 eine alte Dame von Ausflugsschiff (die MS Schwaben, Baujahr 1937) von den der Stadt Konstanz gehörenden Bodensee Schiffsbetrieben (BSB) für eine Erotikparty und dann, kein halbes Jahr bevor die Party zum vierten Mal steigen soll, ertönt der Aufschrei des Empörens. Eine Friedrichshafener CDU-Gemeinderätin formulierte diesen so: «Unanständig, wenn ich es vornehm ausdrücke. Wir haben Erotik genug im Fernsehen. Da brauchen wir das nicht noch auf dem Bodensee.» Denn, die Logik ist schlüssig, Fernsehen ist wesentlich weniger öffentlich als ein Boot inmitten des Bodensees, auf dem niemand unfreiwillig anwesend ist und wer am Bodensee sitzt, kann den See nicht einfach auf Knopfdruck wechseln wie das Fernsehprogramm. Da fragt sich dann die CDU-Dame bei jeder Welle, die da ans Ufer plätschert, bange, ob die von einem unartig schaukelnden Schiff auf die Reise geschickt wurde, es sich wohl um einen unsittlichen Wellenschlag handelt.

Ein anderer, der Konstanzer CDU-Fraktionschef Roger Tscheulin, formulierte es so: «Heute Swinger-Event, morgen Familienausflug zur Mainau und den Pfahlbauten? Das geht nicht zusammen.» Genau, womöglich vergisst ein Swinger noch von Bord zu gehen und wird von einer entsetzten Familie unter dem Tisch des Bordkaffees entdeckt!

Und, einfach um sein Maul auch noch aufgerissen zu haben, mischte sich auch noch der der FDP angehörende Romanshorner Stadtamann David H. Bon ein, denn «Swingen im öffentlichen Raum» gehe dann doch nicht. Noch unfassbarer, dass dies schon zum vierten mal passiere, meinte der FDP Mann, der aber sehr liberal sei. Am unfassbarsten ist aber, dass Herr Bon die drei bisherigen Male nicht bemerkt hat, obwohl da vor seiner Nase im öffentlichen Raum geswingt wurde.

Andere Einwände betreffen die Kleiderordnung, denn offenbar gehen einige schon in Lack und Leder an Bord, und das sei ja wohl nicht zu tolerieren. Dass der Bürgermeister, der sich auf Druck seiner Konstanzer CDU-Parteikollegen nun so stark gegen «das Schiff», wie die Veranstaltung geheimnisvoll heisst, stark macht, auch Schirmherr des örtlichen Christopher-Street-Day ist, an dem der Dresscode ganz klar jenseits von «casual» zu verorten ist, lässt diesen Einwand sehr gesucht und ziemlich lächerlich erscheinen.

Doch - so ein weiterer Einwand, wie auch von CDU-Fraktionschef Roger Tscheulin angetönt - das gehe doch nicht, dass am einen Tag 500 unanständige, in Lack und Leder gekleidete Menschen auf den Bänken sich näher kommen, wo am nächsten Tag Familien sitzen! Unbehagen, das sogar zur folgenden Leserbrief-Poesie im Südkurier geführt hat: «Da kann's noch so klinisch rein gesäubert sein - der Swingerduft läg für meine Nase trotzdem in der Luft». Sieht man vom zweifelhaften Versmass ab, müsste sich der Schreiber auch fragen lassen, was er denn so alles in Hotelzimmern riecht, die vermutlich weniger klinisch rein gesäubert werden können, als das Oberdeck eines Passagierschiffs. Und wie stark den Ausflüglern (um auf Tscheulins Beispiel zurück zu kommen), der Nazi-Geruch des Pfahlbauermuseums (dieses wurde seiner Zeit ja von diesen als Propaganda-Projekt gegründet), wohl in die Nase steigt.

Apropros Nase: Dass diese Posse unter jener der spöttisch blickenden Konstanzer Imperia-Statue statt findet, welche seit 1993 bei der dortigen Hafeneinfahrt alle Schiffe begrüsst, verleiht der Angelegenheit eine zusätzliche Dimension der Absurdität. Denn die neun Meter hohe Beton-Dame steht für die siebenhundert offiziellen und die nicht gezählten heimlichen Kurtisanen, die während des Konstanzer Konzils vor genau 600 Jahren (1414 - 1418) im Gefolge der weltlichen und vor allem kirchlichen Fürsten für die Befriedigung der «niedrigen Triebe» der hohen Herren sorgten.

Dieses Denkmal anerkennt die meist nicht so klinisch reinen Realitäten der Welt, sei zudem das weltgrösste Monument für eine Hure und mittlerweile ein Wahrzeichen und eine Attraktion der Stadt, für dessen Abriss sich auch die CDU nicht mehr einsetzt (obwohl die Dame sicher nicht anständig ist!). Das Denkmal wurde damals ausgerechnet von den BSB in Auftrag gegeben, die momentan im Zentrum des Wirbels stehen. Diese gehörten seinerzeit aber noch der Deutschen Bahn und nicht wie heute der Stadt Konstanz. Man kann sich nur allzu gut vorstellen, was bei den heutigen Besitzverhältnissen passiert wäre, wehrten sich doch auch damals konservative Stadtratsmitglieder (zusammen mit der Kirche) gegen dieses Kunstwerk, konnten den Bau jedoch nicht verhindern, da das Grundstück damals der Bahn gehörte.

Unterdessen steht fest: Das Swingerschiff wird noch einmal in See stechen, denn die Verträge sind wasserdicht und nicht mal durch CDU-Empörungs-Torpedos im schwäbischen Meer zu versenken. Allerdings werden für 2015 die Geschäftsbedingungen für das Chartern der Schiffe geändert, so dass die guten CDU-Ratsmitglieder im nächsten Jahr wieder ruhig schlafen können, ohne sich fragen zu müssen, was da auf den friedlich plätschernden Wellen ihres Sees wohl unanständiges getrieben wird.

(Patrik Etschmayer/news.ch)

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