Es sind die Geschichten, die New York liebt. Gut gegen Böse. Der erfolgreichste und genialste Spieler der Geschichte gegen den Besten der Gegenwart. Auf der grössten Tennis-Bühne der Welt. Im Scheinwerferlicht, zur Prime Time. Im Big Apple, der 19-Millionen-Metropole am Hudson und East River. In der Stadt, die niemals schläft. Alles war bereit zur grossen Party. Sean Connery, Robert Redford, David Beckham, sie alle und knapp 24'000 weitere waren gekommen, als die Protagonisten um kurz nach 19 Uhr Ortszeit und mit drei Stunden Verspätung das Artur-Ashe-Stadion betraten. Doch der Story fehlte das Happy-End. Nicht Roger Federer sondern Novak Djokovic stemmte am Ende die Trophäe in den Nachthimmel über Flushing Meadows.
Das 42. Duell zwischen Djokovic und Federer (je 21 Siege) war ein 3:20 Stunden dauerndes Spektakel, das alles beinhaltete, was den Sport attraktiv macht. Spannung, Dramatik, Leiden, Auf und Abs und hochklassiges Tennis bei einer aufgeheizten Atmosphäre, die bei den Protagonisten Gänsehaut verursachte. «Die Stimmung war unglaublich», sagte Federer, «irgendwie nicht ganz real». Wie eine Wand stand das New Yorker Publikum hinter dem Schweizer und versuchte alles, um seinen Liebling zum Sieg zu schreien. Djokovic akzeptierte die Rolle des «Bad Boy». Federer verdiene diese Unterstützung, für all die Jahre, seine Erfolg und die Art und Weise, wie er sich auf und neben dem Platz verhalte.
Für Federer wurde es trotz der immensen Unterstützung ein Abend der verpassten Chance(n). Nur vier seiner 23 Breakmöglichkeiten vermochte er zu nutzen, am Ende hatte er nur zwei Punkte weniger auf dem Konto als Djokovic (145:147). Die grosse Stärke in den Jahren seiner Dominanz, bei den «Big Points» zu reüssieren, ist in den Duellen gegen Djokovic zu Federers Schwäche geworden. Vor allem mit der Vorhand, neben dem Aufschlag noch immer sein Paradeschlag, produzierte er ungewohnt viel einfache Fehler (29). «Ich hatte den Schlüssel in meiner Hand und hätte nach drei Sätzen nie und nimmer hinten liegen dürfen», sagte der älteste Grand-Slam-Finalist seit Andre Agassi 2005. Der dritte Durchgang erwies sich als vorentscheidend. Federer vergab zwei Möglichkeiten zur 5:3-Führung, kassierte bei nächster Gelegenheit das Break und verpasste im Anschluss zwei weitere Chancen zum Rebreak.
Im Gegensatz zum Wimbledon-Final, in dem er ohne realistische Chance auf den Sieg geblieben war und die Niederlage schnell abhakte, dürfte Federer diese Partie länger beschäftigen. Wann bietet sich ihm, der in den Tagen von New York gross aufspielte, die nächste Chance zu seinem 18. Grand-Slam-Sieg, dem ersten seit Wimbledon 2012?
Wer kann Djokovic stoppen?
Die Hierarchie im Männer-Tennis hat sich verändert. Die «Big Four» sind Geschichte. Djokovic zementierte mit seinem zehnten Grand-Slam-Titel seinen Status als Nummer 1 weiter. Seit Jahren ist er der konstanteste Spieler auf der Tour, in New York bestritt er seinen 16. Grand-Slam-Final innerhalb von fünf Jahren. In zwei Grand-Slam-Finals in Folge gegen Federer zu spielen, sei für ihn die grösstmögliche Herausforderung gewesen, so Djokovic. Er sprach von einem grossartigen Kampf. «Wir haben uns - wie immer - bis an die Grenzen getrieben.» Der Gewinn dreier Major-Titels in diesem Jahr mache ihn sehr stolz. «Mehr habe ich nicht erwarten können», sagte der 28-Jährige aus Belgrad, der für seinen Sieg 3,3 Millionen Dollar plus eine weitere halbe Million Dollar Bonus kassierte.
«Es gibt nicht viele Spieler, die mit Djokovic von der Grundlinie mithalten können oder die Mittel und den Mut haben, gegen ihn offensiv zu spielen», sagte Federer über seinen grössten Rivalen, gegen den er mittlerweile 10 von 16 Final-Duellen verloren hat. Nur Stan Wawrinka konnte Djokovic in diesem Jahr an einem Major-Turnier stoppen und vermasselte dem Serben in Paris den Grand Slam. Der Romand scheint der Einzige zu sein, der dem Serben wehtun kann. Zwei der letzten fünf Duelle an Grand-Slam-Turnieren gegen Djokovic gewann Wawrinka, die anderen drei verlor er jeweils erst in fünf Sätzen.
Boris Becker traut seinem Schützling zu, fünf, sechs weitere Jahre auf diesem Niveau zu spielen, womit für Djokovic auch die Marke Federers von 17 Grand-Slam-Siegen zum Thema werden könnte. Die Frage beim Serben wird sein, ober er seine körperliche Fitness, die Beweglichkeit und Leichtfüssigkeit beibehalten kann - und ob er gesund bleibt. Den grössten Schreckmoment im Final hatte der Serbe im vierten Game zu überstehen, als er mit dem rechten Fuss leicht abknickte und sich beim Sturz Schürfwunden an Ellbogen und Knie zuzog.Dass es schnell gehen kann, zeigt das Beispiel von Rafael Nadal, der - nur ein Jahr älter als Djokovic - körperlich nicht mehr absolut auf der Höhe zu sein scheint und in diesem Jahr verzweifelt um den Anschluss an die Spitze kämpft. Das Gegenteil ist bei Federer der Fall. Der Baselbieter wirkte am US Open so frisch, fit und leichtfüssig wie seit Jahren nicht mehr - mit 34 Jahren notabene. «Etwas letztes habe ich noch», sagte Federer am Ende seiner Rede an der Siegerehrung. «Ich verspreche euch, ich werde im nächsten Jahr zurückkommen.» Es tönte wie eine Kampfansage an Djokovic. Es war die erfreulichste Nachricht in dieser kühl-feuchten Nacht über Flushing Meadows.
(fest/Si)