Welches Klimaziel ist zweckmässig?

publiziert: Dienstag, 22. Sep 2015 / 10:47 Uhr / aktualisiert: Dienstag, 22. Sep 2015 / 12:09 Uhr

Das Zwei-Grad-Ziel zur Beschränkung der Erderwärmung ist in der Klimapolitik und in der Öffentlichkeit relativ gut etabliert. Dennoch arbeiten Wissenschaftler daran, dieses langfristige Schutzziel im Hinblick auf die UN-Klimakonferenz in Paris 2015 zu überprüfen. Welches Ziel ist sinnvoll, um den Klimawandel einzudämmen?

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Anfang Juni haben wir an den Klimaverhandlungen in Bonn die Resultate der zweijährigen Arbeit des Structured Expert Dialogue vorgestellt. Der SED überprüft das 2010 beschlossene Zwei-Grad-Ziel der internationalen Klimapolitik, das die globale mittlere Erwärmung unter zwei Grad Celsius gegenüber vorindustriellem Klima halten will. Ich bin Co-Fazilitator dieses Dialogs - zusammen mit meinem chinesischen Kollegen Zou Ji. Wir haben nun mit Hilfe von über 70 Experten aus der ganzen Welt das neueste Klimawissen zusammengetragen und in Form eines Schlussberichts für die kommende historische Klimakonferenz im Dezember in Paris veröffentlicht. Der SED hatte konkret die Fragen zu untersuchen, wo wir momentan eigentlich stehen, ob das langfristige Schutzziel von zwei Grad Celsius aufrechtzuerhalten sei, oder ob man es vielleicht auf 1.5 Grad Celsius verschärfen sollte.

Ein kurzer Blick zurück

Die internationale Staatengemeinschaft hat das Zwei-Grad-Ziel erstmals 2010 an der UN-Klimakonferenz in Cancún anerkannt. Damals konnten sich die Länder aber nur unter dem Vorbehalt einigen, dass dieses Schutzziel nicht auf «ewig» festgelegt werde. Stattdessen wollte man dieses fortan kritisch hinterfragen. Genau dieser Überprüfung dient nun der SED. Ursprünglich hatte die EU das Schutzziel von zwei Grad Celsius schon Ende der 90er Jahre in die Verhandlungen eingebracht, also zu einem Zeitpunkt, als der Stand des Wissens ein anderer war. Damals unterschätzte die Forschung die Risiken des Klimawandels. Heute ist bekannt, dass schon bei einer Erwärmung von 0.85 Grad Celsius gegenüber vorindustriellen Bedingungen an vielen Orten auf der Welt signifikante Auswirkungen auftreten, auch bei uns in der Schweiz (siehe meinen früheren Blogbeitrag).

Eine Frage der Anpassungsfähigkeit

Deshalb müssen wir Massnahmen treffen, um uns an den Klimawandel anzupassen . Diese sogenannte Adaptation findet bei uns schon seit langem und zum Teil gezielt statt. In ärmeren Ländern fehlen jedoch oft das Know-how und die Mittel dazu. Es erstaunt deshalb nicht, wenn die Entwicklungsländer wiederholt fordern, dass der Norden umfangreiche technologische und finanzielle Unterstützung für den Süden beisteuern müsse. Nur so seien alle Länder in der Lage, ihren Beitrag zum Klimaschutz zu leisten - und sich zu selbst zu schützen. Solche Aspekte sind wichtig, wenn es darum geht, das Schutzziel und insbesondere den Fortschritt daraufhin zu beurteilen.

Wo stehen wir?

Ein Blick auf die momentanen Trends beim Treibhausgasausstoss zeigt: Wir sind im Rückstand. Ungefähr die Hälfte des durch die Menschheit verursachten Ausstosses (seit 1750) erfolgte in den letzten 40 Jahren. Die absoluten Emissionen wachsen seit 2000 um durchschnittlich 2.2 Prozent pro Jahr. Und die Kohlenstoffintensität nimmt wieder zu (also die Menge an Treibhausgasen pro Einheit verbrauchter Endenergie). Das Temperaturmittel der letzten dreissig Jahre ist so hoch wie vermutlich nie zuvor in den letzten 1400 Jahren. Auch sonst sind wir noch weit weg vom anvisierten Ziel: Klimaschutz geschieht oft nur zögerlich, während Anpassungsbemühungen vielerorts bestenfalls noch in den Kinderschuhen stecken. Die Antwort auf die eingangs aufgeworfene Frage nach dem Fortschritt im Hinblick auf das langfristige Schutzziel ist denn im SED auch klar ausgefallen: Die momentanen Trends stehen in merklichem Kontrast zu dem, was erforderlich wäre, um die globale Erwärmung kosteneffizient und wie bislang vereinbart auf maximal zwei Grad Celsius zu begrenzen.

Zwei Grad als Verteidigungslinie

In seinem Bericht kommt der SED zum Schluss, dass ein langfristiges globales Ziel auf der Basis einer oberen Temperaturgrenze immer noch geeignet ist für seinen Zweck, nämlich die Auswirkungen des Klimawandels einzudämmen. Zusätzliche Ziele, etwa bezüglich Anstieg des Meeresspiegels oder Versauerung der Ozeane, seien nicht nötig, weil das Temperatur-Ziel dies indirekt bereits abdecke.
Des Weiteren hält der SED fest, dass eine Beschränkung der Erderwärmung auf zwei Grad keine Sicherheit garantiere - im Gegenteil: Ärmere Länder mit geringer Anpassungskapazität wären schon dann erheblichen Risiken ausgesetzt. Die Zwei-Grad-Grenze sollte als äusserste Verteidigungslinie betrachtet werden, die man besser gar nicht erreichen sollte. Konkret empfiehlt der SED daher, das globales Schutzziel so tief wie möglich festzusetzen - mindestens aber vorläufig an den zwei Grad festzuhalten.

Wir brauchen eine Trendwende

Ob wir nun als langfristiges Schutzziel 2 oder 1.5 Grad Celsius anstreben, ist meiner Ansicht nach in der aktuellen Situation nicht die entscheidende Frage. Entscheidend ist, dass wir die bisherigen Trends erst einmal brechen. Denn es sind diese Trends, die im krassen Gegensatz zu dem stehen, was erforderlich ist, ungeachtet ob nun die Erwärmung auf 3, 2 oder 1.5 Grad begrenzt werden soll. Für den politischen Prozess aber ist es enorm wichtig, überhaupt ein Schutzziel zu haben - und zu verstehen, dass wir den Treibhausgasausstoss in der zweiten Jahrhunderthälfte ohnehin auf null senken müssen. Im Hinblick auf die bevorstehende UN-Konferenz in Paris ist ein klares Schutzziel essentiell - schliesslich sollen diesem alle Länder, auch China und die USA, im Rahmen des anvisierten globalen Abkommens zustimmen.
Paris 2015 wird in vieler Hinsicht entscheidend sein. Die Konferenz sollte aber nicht an der Frage «2 versus 1.5 Grad Celsius» scheitern, sondern die Türe für beide Schutzziele möglichst weit offen lassen!

(Andreas Fischlin/sda)

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Reto Knutti ist Professor für Klimaphysik an der ETH Zürich.
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