Wettlesen in Klagenfurt: Bei Halbzeit zwei Anwärter

Birgit Kempker kam vor Monaten in die Schlagzeilen, weil sie in ihrem Roman «Als ich das erste Mal mit einem Jungen im Bett lag» einen ehemaligen Liebhaber mit seinem echten Namen «Cornelius Busch» als Figur verwendete. In ihrem Klagenfurter Text verarbeitete sie den daraus resultierenden Prozess zu einem präziösen, artistischen Plädoyer für die Phantasie.

Realität erschlägt Phantasie
Die Hälfte der Jury fand grosses Vergnügen an diesem «poetischen Rap». Drei der sieben Juroren und Jurorinnen sahen sich indes ausser Stande, Kempkers Text «Was hab'ich in Meppen zu suchen?» objektiv beurteilen zu können.
Iris Radisch gab zu, ihn schlicht nicht zu verstehen, Robert Schindel und Burkhard Spinnen fühlten sich befangen, da sie Kempkers freien Umgang mit Persönlichkeitsrechten verurteilten. Der Schweizer Juror Hardy Ruoss zeigte sich erstaunt, dass die beiden Kollegen nicht textimmanent zu urteilen vermochten.
Einen realen Vorfall hatte übrigens auch der Schweizer Daniel Goetsch am Donnerstag für seinen Wettbewerbsbeitrag verwendet: In «Hochdruck im Flachland» entflieht ein Zürcher Jungbroker genervt der Arbeit und streunt durch die Stadt, begleitet von der Berichterstattung um den Amokbeamten Tschanun. «Zu oberflächlich», urteilte die Jury.

Die «coole» Betrügerin und der Tor im Kontor
Auf beinahe einhellige Begeisterung stiess der Text «Mir nichts, dir nichts» der jungen Berlinerin Julia Franck. Darin bekommt eine Frau Besuch von ihrer Freundin, nachdem sie gerade mit deren Liebhaber geschlafen hat. Die kühle Beziehungsbrecherin offenbart sich nicht, sondern ekelt sich zunehmend ob der Verzweiflung und Mickrigkeit der betrogenen Freundin.
Georg Klein erhielt für eine ganz andere Geschichte ähnlich gute Noten. In seinem unbetitelten Romanauszug steht ein Mann vor der Aufgabe, durch einen Hallenbadkeller in ein geheimnisvolles, irreal anmutendes Kontor zu gelangen. Er scheitert an seiner Liebe zu Spielzeugautos. Der Grossteil der Jury schätzte die handwerkliche Präzision und die von der Romantik bis zu Kafka reichenden Querbezüge.

Breite Auswahl an Themen und Tönen
Der diesjährige Wettbewerb offenbart ein breites Spektrum: Selbstmord im Kleiderschrank (David Wagner), Dorfleben in Polen (Malin Schwerdtfeger) und Jus-Examen in Spanien (Martin Amanshauser) waren beispielsweise Stoffe. Fast ausnahmslos wurde den Bewerbern handwerkliche Fertigkeit attestiert, stilistische Anleihen - von E.T.A Hoffmann bis Thomas Bernhard - wurden, anders als früher, toleriert.
Der Wettbewerb endet am Sonntagmittag mit der Verleihung von drei Preisen und drei Stipendien im Gesamtwert von 70 000 Franken.

(sda)