Wie Erdogan die Türkei europakompatibel macht

publiziert: Montag, 17. Jun 2013 / 11:36 Uhr / aktualisiert: Dienstag, 18. Jun 2013 / 08:23 Uhr
Erinnert Euch an Peking: Aufmarsch der Volksbefreiungsarmee am Tag bevor das Volk von sich befreit wurde...
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Die Kommentare gleichen sich weltweit: Mit seinem brutalen Vorgehen gegen die friedlichen Demonstranten im Gezi-Park und auf dem Taksim-Platz verspielt der türkische Premier Erdogan die Mitgliedschaft der Türkei in der EU. - Das Gegenteil ist der Fall, wollen wir wetten?

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Schauen wir nach China. 1989 wurde der Platz des Himmlischen Friedens brutal geräumt. 10 Jahre später kam die brutale kommunistische Clique in den Genuss des globalen Freihandelsabkommens, was sie bis 2010 zur einflussreichsten Weltmacht aufsteigen liess. 2013 etabliert die türkische Elite brutal ihre Souveränität und wird spätestens 2023 mit der EU-Mitgliedschaft belohnt werden. Seit 1989 wurde kein einziges Freihandelsabkommen geschlossen, das nicht den einen oder den anderen Diktatoren oder die alte marode Elite der Vertragspartner gestärkt hätte. Schauen Sie nach Osteuropa und deren Herrscher und jeder Widerspruch erübrigt sich.

Der arabische Frühling hat gezeigt, dass von den berechtigten Protesten und dem Willen nach Transformation die Kräfte gestützt werden, die der chinesischen Logik für die Aufrechterhaltung des globalen Kapitalismus folgen.

Der Markt setzt die Zinsen fest.
Die Handelsschranken werden niedergeschlagen.
Rohstoffe werden privatisiert und global gehandelt.
Das globale Kapital wird nicht eingeschränkt.

Waren, Dienstleistungen und Personen werden so freigesetzt, dass Regimes wie Ungarn zwar rechtsnationalistisch und rechtsextrem politisieren, doch marktwirtschaftlich perfekt funktionieren. Rumänien und Bulgarien sind - für die Banken und den globalen Handel, vor allem auch den globalen Kinder- und Frauenhandel - perfekte marktwirtschaftliche Systeme. Herrscht in China eine kommunistische Elite, sind es in Bulgarien und Rumänien halt die Clans - für den Markt spielt dies keine Rolle, höchstens höhere Schutzgelder sind nötig - doch das lässt sich einkalkulieren.

Die Privatisierung aller öffentlicher Unternehmungen bei gleichzeitiger Etablierung eines international durchsetzbaren Privat- und Eigentumsrechts.
Die Uniformierung des Denkens auf beide Seiten hin - Dissidenz und Herrschaft.

Dies erleichtert den Machterhaltungsprozess. Jede Störung dieser Vorgänge wird mit Brutalität und Räumung quittiert. Wurde Occupy im Westen - schliesslich sind auch einige Kinder der Täter am protestieren - noch einigermassen «brav» geräumt, obwohl auch hier für viele Aktivisten die eigene Zukunft noch grauer aussieht als für die schweigende Mehrheit, da Repressionen wie Berufsverbot, Arbeitslosigkeit, Prüfungserschwerungen etc. durchaus wirken, werden überall sonst die gleichen Proteste mit höchster Brutalität und Effizienz niedergeschlagen.

Schon die Krawalle um Bern zeigen, wie wenig selbst eine sogenannt rot-grüne Regierung bereit ist, Proteste und Kritik in diesem unglaublich maroden System hin- oder gar anzunehmen. Oder ganz klein und an sich bedeutungslos, trotzdem für sich sprechend: Der Art Basel-Protest von Kunstschaffenden gegen Elend-Porn-Chic à la Favelas ausserhalb der Kunstmesse. Auch hier wurde mit einer Effizienz und Macht geräumt, die selbst völlig unpolitische Menschen verschreckt. Von der Einkesselung in Frankfurt ganz zu schweigen - so wie es die Mainstreammedien effizient tun.

Überall sind Wut und Proteste spürbar und legitimiert. Überall werden sie mit Tränengas und Wasserwerfern zum Schweigen gebracht, vor allem auch dadurch, dass in den Mainstreammedien keine Erzählung folgt, die all diese Ereignisse, berechtigte Kritiken und Transformationsvorschläge zusammenführt.

Erdogan beweist in diesen Tagen seine Europafähigkeit. Dass wir dies nicht merken, sollte uns zu denken geben. Denn wie der arabische Frühling gezeigt hat, waren es nicht die Menschen wie Sie und ich, die endlich gehört wurden, wie die Türkei zeigt, sind es nicht Menschen wie Sie und ich, die eine Zukunft verdienen, sondern die Menschen, die mit Bewunderung und Dank 1989 mit einem gewissen Neoliberalen Ordnungssinn auf den Platz des Himmlischen Friedens geschaut haben. Und - so der Zynismus der Geschichte - es sind dieselben Menschen, die den heutigen 17. Juni als ersten Schritt zur Befreiung der ostdeutschen von ihrem staatssozialistischen Herrschaftssystem feiern, ohne zu merken, dass ein staatskapitalistisches Herrschaftssystem ebenso brutal nicht nur sein kann, sondern an ganz vielen Orten dieser Welt auch ist.

(Regula Stämpfli/news.ch)

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unklar, wirr, Stämpfli
Äpfel und Birnen gibt auch Most, das ist mein Fazit dieser wirren ’Analyse’. Wenn ein paar ’Künstler’ auf Anklage hin das Feld ihrer unbewilligten Demonstration verlassen müssen, oder in Bern der Schwarze Block im Schutzschild der Tanzenden randaliert und dann von der Polizei identifiziert wird, so kann man dies weder mit 1989 noch mit dem Taksim-Platz vergleichen.

Die Wette gehe ich ein, denn die Türken werden nicht locker geben, bis Erdogan entweder nachgibt oder zurücktritt.

Es gibt auch ’Weisheiten’ wie z.B. «Länder kennen keine Freunde, nur Interessen». In der Politik ist es leider so, dass nicht nur mit Nationen gehandelt wird, welche alle Voraussetzungen einer Demokratie erfüllen. Die Winter in den vergangenen Jahrzehnten wären verdammt kalt gewesen.

Will denn die Pazifistin Stämpfli etwa, dass allen nicht konformen Staaten der Krieg erklärt wird. Was Embargos nützen, zeigt exemplarisch der Iran. Und bei dieser Massnahme leidet sowieso nur die Bevölkerung.

Im übrigen ist die Masche der Kolumnistin die alte, gewohnte. Sie prangert an, weiss aber keinen konstruktiven Vorschlag zu unterbreiten.
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