Wieviel Religion braucht der Staat?

publiziert: Dienstag, 10. Apr 2007 / 10:32 Uhr / aktualisiert: Dienstag, 10. Apr 2007 / 11:13 Uhr

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Jedes Jahr, wenn an Ostern der Papst zu den Gläubigen auf dem Petersplatz spricht und Gott um den Segen für Stadt und Weltkreis bittet, scheint auch im Rest der westlichen Welt ein Besinnungs-Run auszubrechen, der selbst vor Politikern nicht Halt macht.

So meinte unser Finanzminister Hans-Rudolf Merz, dass es mehr christlichen Religionsunterricht in der Schule brauche, damit das Christentum in der Schweiz gestärkt und so der Jugend eine stärkere Basis gegeben werden solle. Eine solche Aussage macht heutzutage kein grosses Aufsehen. Ja, es wird vielerorten im Angesicht vom scheinbaren Werteverfall und dem Eindruck ständig steigender Gewalttaten nach alten Werten und Massstäben gerufen. Die Bibel kommt da gerade recht, als Fundament und Inspiration, denn früher war ja alles besser... nicht wahr?

Wie immer vermischen sich da romantische Vorstellungen und Wunschgedanken zu einem gefährlichen Gemenge, das seine Basis an allen möglichen Orten hat, nur nicht in der Realität. Im Namen des Glaubens – ob dieser nun christlich, muslimisch, jüdisch oder anderer Art war (doch, der Monotheismus ist hier schon spitze) – wurden verheerendste Kriege geführt, die immer noch ihresgleichen suchen. Der Dreissigjährige Krieg fand sein Ende eigentlich nicht durch den Wunsch der Kriegführenden nach Frieden. Sondern vor allem, weil es niemanden mehr gab, um den Krieg zu führen: Mitteleuropa war fast ausgeblutet.

Nun mag man einwenden, dass dies ja schon lange her ist – bei Religionen mit Ewigkeitsanspruch ein kurioser Einwurf – aber trotzdem. Die Weltkriege im 20. Jahrhundert sind ja immerhin nicht von der Kirche angezettelt und geführt worden.

Doch auch hier zeigen sich Umstände, die an der Eignung der Religion als Zivilisations- und Friedensbringer zweifeln lassen. Im ersten Weltkrieg waren die Kirchen nie weit, wenn es um das Segnen von Kanonen und Schlachtschiffen ging. Friedensaufrufe von Kirchen und deren Vertretern waren eine Ausnahme, während sich alle Staatsmänner, welche eine Generation von jungen Männern auf dem Schlachtfeld verheizten, sich widerspruchslos auf eine göttliche Legitimation berufen konnten.

Aber der zweite Weltkrieg war was ganz anderes, oder? Schliesslich wurde er ja von einem atheistischen Regime vom Zaun gerissen und auch Stalin war Vertreter einer gottlosen Ideologie.

Sowohl deutscher Faschismus als auch russischer Kommunismus waren Ersatzreligionen samt Religionsstiftern (Hitler und Marx), heiligen Büchern, die versprachen, das Heil zu bringen («Mein Kampf» und «Das Kapital») und schliesslich messianischen Führern, welche beide nicht aus einem atheistischen, sondern aus einem tief religiösen, christlichen Milieu stammten, mitsamt dem damit einhergehenden Antisemitismus. Kam dazu, dass sowohl der Papst als auch die Führung der griechisch-orthodoxen Kirche im Krieg stramm hinter dem Militär standen.

Doch das kümmert heute offenbar niemanden mehr. Betrachten wir also einfach mal die Gegenwart. Die Frage ist einfach, wie man die Zivilisiertheit eines Staates misst. Wenn man davon ausgeht, dass gewisse Dinge wie Einhaltung der Menschenrechte, Abschaffung der Todesstrafe, Bekämpfung von Rassismus und die Gleichberechtigung Massstab sein sollten, mithin jene Dinge, auf die wir im Westen zu Recht stolz sind, dann sieht man auch ganz interessante Phänomene.

So hat ausgerechnet in den USA, jener Demokratie, in der kein Politiker eine Wahlchance hat, wenn er nicht mindestens einmal pro Rede Gott anruft oder sich zumindest auf Nachfrage als gläubiger Christ ausweist, jeder Versuch, die Todesstrafe abzuschaffen, keine Chance. Dass es schon einmal in den 1970er Jahren fast soweit war, ist dabei interessant. Ebenso, wie das Erstarken der christlichen Bewegung, die Hand in Hand mit dem Comeback der Todesstrafe ging. Denn die wird speziell in Staaten mit einem hohen Anteil an fundamentalistischen Wählern angewandt.

Doch man muss gar nicht so weit gehen. Die innenpolitischen Entwicklungen, sowohl im sehr katholischen Polen wie auch im orthodoxen Russland in Richtung Repression und Diskriminierung von Menschen mit 'unchristlichem' Lebenswandel, werden mit Wohlwollen von den jeweiligen Landeskirchen begleitet. Und wenn in Nordirland nun endlich eine Chance auf Frieden entsteht, so wohl eher trotz als wegen der religiösen Führer.

Die Aussage von Herrn Merz, dass es sich bei der Schweiz um einen christlichen Staat handelt, ist zumindest problematisch. Ein Grossteil unserer Gesetze widerspricht diametral wichtigen Teilen der Bibel – schon die Religionsfreiheit verletzt mehr Gebote und Befehle Gottes, als sich auf einer Seite auflisten lassen.

Woran es in der heutigen Gesellschaft wirklich mangelt, ist das Vermitteln von universellen Werten und Tatsachen. Es gibt allgemeingültige Werte, die unabhängig von und zum Teil im Widerspruch zu Religionen existieren. Diese durchzusetzen – z.B. Toleranz gegenüber anders Lebenden und Denkenden und den Schutz des Individuums – wäre die Aufgabe eines freiheitlichen Staates. Nicht die Förderung einer Religion, die, wenn sie einmal los gelassen ist, zum Gegenteil führen kann und, wie bisher in jeder Theokratie, egal welcher Prägung, auch wird.

(von Patrik Etschmayer/news.ch)

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