Soziologen: «Gesellschaft braucht neuen Schutz der Privatsphäre»

Wikileaks wirft ethische Grundfragen auf

publiziert: Montag, 6. Dez 2010 / 14:00 Uhr
Privatsphäre: Verlust kann Gesellschaft teuer zu stehen kommen.
Privatsphäre: Verlust kann Gesellschaft teuer zu stehen kommen.

Zürich - Die fortlaufenden Enthüllungen von Wikileaks - heute etwa mit einer US-Liste der gefährderten Infrastrukturen - sowie auch die Jagd nach ihrem Gründer und ihren Daten zeigt eines der grundlegendsten Probleme des Internets.

6 Meldungen im Zusammenhang
«Die Gesellschaft braucht an bestimmten Stellen mehr Privatsphäre und Geheimhaltung, besonders in der Weitergabe und Speicherung von Informationen», so der Soziologe Stefano Balietti von der ETH Zürich gegenüber pressetext. Balietti hat soeben mit seinem Kollegen Dirk Helbing ein Weissbuch zur Datensicherheit im Internet präsentiert.

Gläserne Gesellschaft vom Herdentrieb gesteuert

Wikileaks bringt laufend Informationen zum Vorschein, die bisher als «sicher» galten. «Manche Teile davon sollten sicher öffentlich zugänglich sein, teils handelt es sich aber um sensible Information. Google verfügt allerdings über eine ungleich grössere Datenmenge, Facebook hingegen eine noch weitaus delikatere», schätzt der Experte. Auswirkungen eines kompletten Wegfalls der Geheimhaltung, über die etwa Facebook-Gründer Mark Zuckerberg spekulierte, seien im Detail kaum vorherzusehen, den «worst case» dürfe man jedoch nicht ausschliessen. Was dabei auf dem Spiel steht, haben die Forscher gemeinsam mit Computerwissenschaftlern erhoben.

«Zu den grössten Gefahren völliger Transparenz gehört der Konformismus», erklärt Balietti. In einem Experiment liessen die Forscher Versuchspersonen die Zahl der Morde in einem Jahr schätzen. Die Antworten zeigten eine grosse Bandbreite, die im Durchschnitt jedoch der tatsächlichen Zahl erstaunlich nahe kam. Teilte man den Probanden mit, wie die anderen getippt hatten, orientierten sich die meisten daran - was ein Durchschnittsergebnis fernab der Realität lieferte. «Ohne Privatsphäre ist der Pluralismus in Gefahr», so der Forscher. «Würden sich alle normal verhalten, wird das Leben zwar vorhersagbarer, jedoch auch langweiliger.»

Worst Case: Diskriminierung bis Mobbing

Hysterische Reaktionen, die zur Finanzkrise führten, sind laut den Züricher Forschern mit diesem Herdentrieb zu erklären. Doch der Konformismus könne auch zur Diskriminierung von Menschen führen, etwa aufgrund ihres Glaubens, Alters, Gesundheitszustandes, Geschlechts oder der sexuellen Orientierung. «Aussenseiter sind meist diejenigen, die Trends und Mode der Zukunft bestimmen und somit die Anpassung einer Gesellschaft an neue Herausforderungen ermöglichen. Nicht die Orientierung am Normalen, sondern Pluralismus schafft Innovation», erklärt Balietti. Zudem wissen selbst Mitglieder der Mehrheit nicht, wie ihr gegenwärtiges Verhalten in Zukunft beurteilt wird.

Die Liste der Probleme der totalen Transparenz lässt sich fortsetzen. Bestimmte Berufe - etwa Richter, Lehrer oder Polizisten - brauchen besonderen Schutz der Privatsphäre, da sie unangenehme Entscheidungen zu treffen haben. Das Internet kann verhindern, dass Menschen eine zweite Chance bekommen, denn Vergeben und Vergessen ist unmöglich, sobald jeder Fehltritt verewigt wird. Es erschwert auch das Verstecken vor Intoleranz, Mobbing, Bestechung, Erpressung. «Bloss mehr Information ist noch kein Garant für eine transparentere, fairere und bessere Gesellschaft. Eher scheint, als erleichtert es eher das Herauspicken von Einzelinformationen statt dem Blick auf das Ganze», so der Züricher Forscher.

Ergiebiger als alle Geheimdienst-Archive

Verschärft haben sich viele der Probleme laut den Experten in der «Datensammelsucht», die nach den Terroranschlägen 2001 eingesetzt habe. «Die Frage lautet: Was passiert mit den privaten Daten, die an harmlose Organisationen - etwa dem Internet oder der Hotelrezeption - weitergegeben werden? Das Internet speichert mehr brisante Informationen als je ein Geheimdienst eines totalitären Staates verfügte», schreiben Helbing und Balietti. Zudem werden User dazu gezwungen, bei vielen Angebote Vertragsbedingungen ohne Alternative zu akzeptieren, die man nicht lesen kann. «Jeder unterschreibt blind die viel zu langen und zu komplizierten Verträge. Ethisch gesehen ist das keine informierte Zustimmung.»

Für die Zukunft schlagen die Forscher bessere Gesetze und bessere technische Lösungen vor und fordern mehr Problembewusstsein beim Internetnutzer. Der User müsse die Kontrolle über die Daten zurückerhalten. Andernfalls könnten sich vielleicht eines Tages nur mehr Reiche den Luxus einer Privatsphäre geniessen, indem sie von eigenen Firmen ihre eigenen Daten um viel Geld zurückkaufen. «Es kommt nicht darauf an, wie viele, sondern wie Daten gespeichert und ausgetauscht werden. Es wäre möglich, Daten wirksamer zu anonymisieren oder zu randomisieren. Dazu nötig sind eigene Algorithmen und Datenformate, die gesetzlich vorgeschrieben werden können.»

(sl/pte)

Kommentieren Sie jetzt diese news.ch - Meldung.
Lesen Sie hier mehr zum Thema
.
Digitaler Strukturwandel  Nach über 16 Jahren hat sich news.ch entschlossen, den Titel in seiner jetzigen Form einzustellen. Damit endet eine Ära medialer Pionierarbeit. mehr lesen 22
Berühmtes Deepfake: Papst Franziskus in fetter Daunenjacke.
Berühmtes Deepfake: Papst Franziskus in fetter Daunenjacke.
Um der steigenden Verbreitung manipulierter Inhalte entgegenzuwirken, haben sich Google, Meta und OpenAI der C2PA angeschlossen. Ihr Ziel ist es, Standards zu entwickeln, um authentische Inhalte von solchen zu unterscheiden, die mithilfe von Künstlicher Intelligenz erstellt wurden. mehr lesen 
Publinews Die Paysafecard ist ein elektronisches Zahlungsmittel, das auf dem Prepaid-Prinzip basiert. Es ermöglicht Nutzern, online sicher und anonym zu bezahlen, ohne persönliche oder finanzielle Informationen preiszugeben. Doch wie funktioniert das System? In diesem Artikel erläutern wir die Vorteile einer Paysafecard und zeigen die grundlegenden Schritte, wie die Paysafecard funktioniert. mehr lesen  
Publinews Die Zeit von 123456 als populärstem Passwort scheint vorbei zu sein. Laut der 2023er ... mehr lesen  
Cybersicherheit endet nicht beim Passwort
Das Datenökosystem besteht aus vertrauenswürdigen Datenräumen, die gemäss klaren Regeln miteinander vernetzt werden können.
Der Bundesrat hat am ein Massnahmenpaket zur Förderung eines Schweizer Datenökosystems verabschiedet. Das Ziel des Datenökosystems ist es, das Potential von Daten in der Schweiz besser auszuschöpfen ... mehr lesen  
Der Remoteserver hat einen Fehler zurückgegeben: (500) Interner Serverfehler.
Source: http://www.news.ch/ajax/top5.aspx?ID=861&col=COL_2_1
Magnettonband mit der Aufnahme von B.B. Kings Konzert am Jazzfestival Montreux von 1980 aus dem Archiv der Claude Nobs Foundation. Das Band befindet sich in einem fortgeschrittenen Stadium des Verfalls, sodass es mit herkömmlichen Methoden nicht mehr direkt abgespielt werden kann.
eGadgets Montreux-Festival: Musik wird mit Röntgenlicht gerettet Das Paul Scherrer Institut hat eine ...
Domain Namen registrieren
Domain Name Registration
Zur Domain Registration erhalten Sie: Weiterleitung auf bestehende Website, E-Mail Weiterleitung, Online Administration, freundlichen Support per Telefon oder E-Mail ...
Domainsuche starten:


 
Stellenmarkt.ch
Der Remoteserver hat einen Fehler zurückgegeben: (500) Interner Serverfehler.
Source: http://www.news.ch/ajax/top5.aspx?ID=0&col=COL_3_1
Kreditrechner
Wunschkredit in CHF
wetter.ch
Heute Mi Do
Zürich 4°C 11°C wechselnd bewölkt, Regenleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig wechselnd bewölkt, Regen wechselnd bewölkt, Regen
Basel 5°C 12°C wechselnd bewölkt, Regenleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig trüb und nass wechselnd bewölkt, Regen
St. Gallen 2°C 9°C wechselnd bewölkt, Regenleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig trüb und nass starker Schneeregen
Bern 4°C 10°C wechselnd bewölkt, Regenleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig wechselnd bewölkt, Regen starker Schneeregen
Luzern 6°C 12°C wechselnd bewölkt, Regenleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig trüb und nass wechselnd bewölkt, Regen
Genf 8°C 12°C wolkig, aber kaum Regenleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig wolkig, aber kaum Regen wolkig, aber kaum Regen
Lugano 12°C 18°C recht sonnigleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig recht sonnig wechselnd bewölkt
mehr Wetter von über 8 Millionen Orten