Zürcher Bodenhaftung im europäischen Machtzentrum
Im europäischen Showdown peilen die ZSC Lions den grösstmöglichen Triumph an: den Gewinn der Champions League. Nach dem 2:2 in Magnitogorsk ist den «Euro-Lions» die Sensation im Rückspiel in Rapperswil zuzutrauen.
Eng wie in Rapperswil
Als müsste der Zürcher Gastgeber die engen Platzverhältnisse im Rapperswiler Final-Ersatzstadion simulieren, empfingen die Lions die über 50 Medienvertreter im oberen Stock der Kunsteisbahn «KEBO» in Oerlikon. Im selben «Stadiönli», wo im April vor vier Jahren der NHL-Star Joe Thornton den HCD zum Playoffsieg führte, erläuterten die Lions in Griffnähe zur silbernen Champions-League-Trophäe ihren letzten Vorbereitungsstand.
Einen oder eher mehrere Meilensteine haben die Lions für sich und die gesamte Schweizer Eishockey-Bewegung im Verlaufe der mehrmonatigen Kampagne bereits gesetzt. Den Zürchern ist zuzutrauen, dass sie sich heute Mittwochabend im St. Galler Exil auch noch den «Silver Stone», den Pokal des europäischen Champions, sichern. Im Vergleich zum (von der Öffentlichkeit) nahezu unbeachteten Start in Linköping, hat sich das mediale Interesse verzwölffacht.
«Es ist interessant, heute so viele Medienleute zu sehen», stellte ZSC-Trainer Sean Simpson grinsend fest. «Das macht mich sehr stolz. Ich denke, dass uns jetzt alle Schweizer Eishockey-Fans unterstützen werden.» Es spricht in der Tat für die erstklassige Arbeit der «Euro-Lions», dass ihre Erfolgsserie landesweit geschätzt und gewürdigt wird. Sämtliche Vertreter der Liga stufen den Imagegewinn für die NLA als bedeutend ein.
Für den ZSC-CEO Peter Zahner ist der Wert «unermesslich» gross. «Man kann ihn materiell gar nicht genau beziffern.» Pekuniär sind die Zahlen bekannt. Bislang hat der ZSC 1,75 Millionen Franken Prämien verdient. Dem Finalsieger sind weitere 750'000 gewiss. Vergoldet wird der Erfolg mit der «Victoria-Cup-Exhibition» gegen ein NHL-Team.
Im europäischen Machtzentrum
Nicht die ZSC Lions machten vor Wochenfrist eine erste europäische Grenzerfahrung, sondern die hoch gehandelten Russen. Erst 43 Sekunden vor der Schlusssirene begrenzten sie mit dem glückhaften 2:2 den (Image-)Schaden. Das Remis veränderte die Ausgangslage vor dem Rückspiel: Sollten die Lions im achten Spiel in der regulären Spielzeit ein erstes Mal verlieren, würde ihnen die Trophäe sozusagen im «Schlussdrittel» noch entgleiten.
Zürichs Headcoach Sean Simpson mag den späten Ausgleich auch mit sechs Tagen Abstand nicht dramatisieren. Sie hätten im Verlauf der europäischen Saison in jeder Situation richtig reagiert und die Bodenhaftung auch nach grossen Auftritten in Schweden, Tschechien oder Finnland nie verloren. «Vielleicht wäre die Euphorie nach einem Sieg in Russland sogar zu gross geworden», mutmasste der Kanadier 24 Stunden vor dem Highlight der 79-jährigen Klubgeschichte.
Im 30. und entscheidenden Spiel der Champions League werden die Lions an ihrer Strategie weitgehend festhalten. Ihr offensiver Stil (mit 32 Toren in sieben Partien) trug ihnen europaweit Respekt und Ruhm ein. Die Spieler selber sprechen vom «ZSC-Hockey» -- quasi eine Spezialform von «Art on Ice». Für Simpson waren sie schlicht «sehr gut, sehr attraktiv und sehr erfolgreich».
Hinter dem beeindruckenden Sturm ins Machtzentrum der europäischen Hockeyszene steckt aber bedeutend mehr als eine Paradeformation. Die schnörkellose Arbeiter-Linie mit Grauwiler, Kamber und Krutow zermürbte auf der Gegenseite manchen Cheftechniker. Ihnen und Alstons Block vermittelte Simpson nicht zu unterschätzende Jobs. Sie stehen in den Augen des Trainers für das pure Teamwork.
Je nach Verlauf der Partie gewinnt die Zürcher «Schatten-Garnitur» zusätzlich an Bedeutung. Metallurgs Coach Waleri Belussow setzte vor einer Woche konsequent nur drei Blöcke ein; die tschechischen Stars Marek, Rolinek und Kudrna trieb Belussow an die Grenzen der physischen Belastbarkeit. Gardner und Co. hingegen standen nicht pausenlos auf dem Eis.
Seger und die Konzentrationsfrage
Mathias Seger misst der Systemtreue prioritäre Bedeutung bei. «Wir müssen unser System durchziehen. Meistens ist das eine Konzentrationsfrage», nahm der Captain zur taktischen Vorgabe Stellung. Für ihn war Metallurgs Comeback nach dem 0:2-Rückstand in erster Linie eine Folge der eigenen Passivität. «Natürlich fanden sie auch besser ins Spiel. Aber wir trugen unseren Teil dazu bei.»
Die Umsetzung des Systems hängt aber auch immer davon ab, was der Kontrahent überhaupt zulässt. In Magnitogorsk blieb den Zürchern ab Spielmitte kaum mehr eine taktische Wahl, weil die KHL-Equipe derart viel Speed und Druck erzeugte. Die hohe Risikobereitschaft der Russen -- damit ist auch im zweiten Duell zu rechnen -- wird den Lions den Raum für Breaks öffnen.
Jene Offerten dürfen sie nicht mehr so leichtfertig ausschlagen wie am letzten Mittwoch, als ausgerechnet Altmeister Alston beim Stand von 2:0 einen Penalty vergab und Trudel sowie Monnet mit zwei weiteren Sololäufen scheiterten. Die mangelhafte Chancenverwertung passt im Prinzip nicht zur Europacup-Statistik der Lions: Im Bereich der Effizienz sind sie mit 16,58 Prozent topklassiert.
Russen abermals selbstbewusst
Die Analysen waren im fernen Südural nach dem enttäuschenden 2:2 schnell gemacht. Einem schwachen seien zwei normale bis gute Drittel gefolgt, urteilten die russischen Beobachter. Verteidiger Bulin sprach vom hohen gegnerischen Aufkommen in der mittleren Zone. Dieses «typische Schweizer Eishockey» war für die KHL-Professionals offenbar gewöhnungsbedürftig. In Rapperswil habe indes der ZSC mit mehr Verkehr in der eigenen Zone zu rechnen, kündigte Bulin mit dem Selbstvertrauen einer Weltmeister-Nation an.
(Sven Schoch/Si)
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