Zweiter 'Favoritensturz'?
Kann der SC Bern nach dem Qualifikationssieger Lugano mit Davos auch den zweiten Meisterschafts-Favoriten ausschalten?
Mit Meister Bern macht am Samstagabend die momentan heisseste Mannschaft im Schweizer Eishockey ihre Aufwartung beim Spengler-Cup-Gewinner. Seit beim SCB alle begriffen hatten, dass die Verbannung in die Playout-Partien unmittelbar bevorstand, verpatzte das Team des ehemaligen Theaterdirektors Alpo Suhonen praktisch keine Aufführung mehr.
In den letzten sieben Qualifikationsspielen blieben die Berner ungeschlagen, im Viertelfinal wurde Qualifikationssieger Lugano mit einem auch in dieser Höhe nicht unverdienten 4:1 in die frühen Ferien geschickt.
Tugenden
Das Starensemble, das während der "Regular Season" oft aufgetreten war wie eine Truppe von schlechten Laiendarstellern, besann sich gegen Lugano urplötzlich alter Tugenden: Mit physischem Spiel, im Gegensatz zur Qualifikation mehrheitlich im Rahmen des reglementarisch tolerierbaren, wurde Lugano "weggearbeitet", zudem spielten verschiedene Einzelspieler gross auf.
Goalie Marco Bührer war permanent ein sicherer Rückhalt, der in Schweden gebrandmarkte, in Bern aber höchst willkommene Henrik Tallinder verlieh der Abwehr viel Ruhe, im Sturm übernahmen Dan Brière, Christian Dubé und Sébastien Bordeleau die ihnen (eigentlich schon vorher) zugedachten Leaderrollen und zudem meldete sich André Rötheli gerade rechtzeitig zum Produktionsdienst.
Der smarte Solothurner, der schon mit drei Klubs (Zug, Lugano, Bern) Meister war, trumpft dann regelmässig gross auf, wenn es zählt -- ähnlich wie früher sein (in der Qualifikation auch nicht immer überragender) Sturmpartner Misko Antisin.
Allen neuen, alten SCB-Qualitäten zum Trotz: Der Qualifikations-Achte ist gegen Davos deutlicherer Aussenseiter als gegen Lugano. Und zwar aus zwei Gründen: Erstens, weil die Berner nicht mehr auf ungewollten Support des gegnerischen Coaches zählen können -- Larry Huras trieb das Wechselspiel zwischen seinen Goalies während der Saison so auf die Spitze, dass am Schluss beide Fehler machten und war zudem nicht in der Lage, seine Spieler auf die "crunch time" hin in Bestform zu bringen -- und zweitens, weil die Davoser ohnehin noch etwas stärker einzustufen sind als die Südtessiner.
Ausgeglichene Blöcke
Die Bündner verfügen über die vier ausgeglichensten Blöcke der Liga und können mit ihrem Tempospiel à la Arno del Curto jeden Gegner in Verlegenheit bringen. Zudem stellen sie ein sehr eingespieltes Team, weil die Klubführung während der Saison (wie auch Zürich und Zug) nicht dem "Lockout-Amok" erlag und mit den anfänglichen Söldnern das Glück suchte (und fand).
Nebst starken Schweizern (vor allem SCB-Feindbild Reto von Arx, der heuer sehr starke Michel Riesen, Goalie-Entdeckung Jonas Hiller) können diese Söldner die grossen Pluspunkte sein: NHL-Tormaschine Rick Nash hat sich gegen Rapperswil-Jona noch zurückgehalten (2 Tore/1 Assist), hat aber ebenso noch Steigerungspotenzial wie Joe Thornton. Der Kanadier ist DER begnadete Spielmacher der Liga, hat in vier Playoff-Spielen schon neun Punkte erzielt (2/7) und wird sich auch von den Berner Männern fürs Grobe nicht einschüchtern lassen.
Die ersten drei Playoff-Serien zwischen diesen Teams in diesem Jahrtausend boten viel Spektakel und Emotionen, die Bündner gewannen die beiden letzten.
Heimvorteil für die Lions
Die ZSC Lions geniessen in ihrem sechsten Halbfinal in Serie Heimvorteil und haben die Qualifikation zudem als Dritte einen Platz vor dem EV Zug beendet. Die Differenzen waren aber minim: Die Zürcher schafften zwar zwei Punkte mehr als die Zuger, die Innerschweizer gewannen aber drei der vier Direktbegegnungen.
Wenn man allein auf die in den Viertelfinals gezeigte Form abstellen wollte, müsste man die Gäste leicht favorisieren. Zug gestand dem bisherigen Angstgegner Genf-Servette kein einziges Spiel zu, während den Zürchern das 4:1-Gesamtskore gegen ein arg dezimiertes Ambri schmeichelte. Dem Team von Christian Weber muss aber zugetraut werden, dass es sich im nötigen Mass steigern kann.
Sean Simpsons Arbeit
Für die Zuger ist die erstmalige Halbfinal-Qualifikation seit fünf Jahren schon ein Erfolg, nachdem sie in den letzten beiden Jahren die Playouts nur um Haaresbreite und mit viel Glück vermieden hatten. Gleichzeitig ist sie eine logische (Zwischen-)etappe auf dem Weg zurück an die Spitze, den der Klub mit Sean Simpson gehen will und der längerfristig den zweiten Titel nach 1998 bringen soll.
Der akribische Kanadier, der im Sommer 2003 das "gemachte Nest" im Schosse des Anschutz-Imperiums in Hamburg mit einem unsicheren Engagement in Zug vertauschte, hat die Mannschaft nach seinem Gusto sinnvoll ergänzt und ihr endlich wieder ein Gesicht verpasst.
Mit einem stärkeren Goalie (Lars Weibel), einer soliden Verteidigung und gefährlichen Sturmreihen stimmt die Mischung. Gegen die Genfer verhinderte einzig die phasenweise schwache Chancenauswertung klarere Verdikte.
Herausragend sind neben Nationalspieler Patrick Fischer und Topskorer Oleg Petrow derzeit vor allem die weiteren ausländischen Verstärkungen. Der Finne Niko Kapanen glänzt mit grosser Übersicht, der Kanadier Mike Fisher bietet Spektakel pur. Das Kraftpaket, das im Normalfall im Sold der Ottawa Senators steht, pflügt sich mit unglaublicher Kraft übers Eis und wenn nötig durch die Gegner hindurch. Der Fisher der letzten Monate ist offensiv und defensiv gleichermassen stark und zählte jüngst sicher zu den Top-3-Ausländern der Liga.
Mark Streit und die Söldner
Auch bei den Zürchern spielen die Söldner logischerweise nebst der Schweizer Lebensversicherung, Nationalmannschafts-Captain Mark Streit, eine zentrale Rolle. Ari Sulander spürt seinen dritten Frühling und interpretiert seine Rolle als "finnische Wand" einmal mehr hervorragend.
Neben Randy Robitaille und Robert Petrovicky hat zuletzt auch Tony Virta überzeugt. Die finnische Nummer 9, oft als Fehleinkauf abgestempelt, steuerte gegen die Leventiner acht Punkte (5/3) bei und ist damit die Nummer 4 der Playoff-Skorerliste.
(Marco Keller/Si)
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