«iPod-Hören ist wie Wein aus Plastikbechern trinken»

publiziert: Samstag, 7. Jul 2007 / 10:35 Uhr / aktualisiert: Sonntag, 8. Jul 2007 / 10:31 Uhr

Graz - US-Musikerin und iTunes-Pionierin Tori Amos im Gespräch: Die im englischen Cornwall lebende US-Musikerin Tori Amos zählt seit ihrem Debutalbum «Little Earthquakes» Anfang der 90er-Jahre zu den erfolgreichsten und profiliertesten Frauen-Persönlichkeiten der Musikindustrie.

«Es kann nicht sein, dass man jeden Morgen nach dem Aufwachen von Millionen von Menschen beurteilt wird.»
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Am Rande ihrer aktuellen Live-Tournee, auf der Tori Amos ihr neuestes Album «American Doll Posse» vorstellt, sprach pressetext in Graz exklusiv mit der Künstlerin.

Im Interview legt Amos nicht nur ihren Zugang zu digitaler Musik offen, sondern erklärt auch, warum es gefährlich ist, sich selbst zu googeln. Weiter gewährt sie Einblick in ihre politische Sicht der Welt und beantwortet die Frage, ob Grossevents wie «Live Earth» Sinn machen.

Sie zählen zu den Pionierinnen, was das Veröffentlichen von digitalen Musik- und Videoinhalten auf iTunes und anderen Onlineportalen betrifft. Gleichzeitig gelten Sie als Perfektionistin in Bezug auf Soundqualität und Produktion. Wie geht es Ihnen, wenn Sie sehen, wie die Leute über kleine iPod-Kopfhörer Ihre Musik hören?

Tori Amos: Blicken wir dem Ganzen ins Auge. Ich sehe mich wie die Winzerin eines mittelgrossen Weinbergs. Aber ich habe keine Kontrolle darüber, wenn die Leute meinen Wein lieber aus Plastikbechern trinken. Meine 15-jährige Nichte etwa hört Tag und Nacht nur über diese kleinen Ohrenstöpsel Musik. Im Grunde hat sie überhaupt keinen Begriff davon, was Sound eigentlich bedeutet. Eines Tages kam sie in unser Studio und wir drehten die Boxen auf. Sie hat nur mit grossen Augen gestammelt: «Was war denn das?». In ihrer Wahrnehmung ist Sound gleichbedeutend mit dem, was aus diesen kleinen Ohrendingern kommt. Natürlich kann man aber niemandem vorschreiben, wie er oder sie Musik zu hören hat. Im Prinzip würde man sonst eine ganze Generation von Hörern verlieren. Aus Produzentensicht spielen zudem alle mit denselben Karten. Auch die Musik der anderen kommt aus diesen kleinen Stöpseln.

Ihr Spontanauftritt mit einem Schulchor, der sich über YouTube bei Ihnen Gehör verschafft hat, gilt als legendär. Was haben Sie beim Anblick der Kinder gefühlt? Denkt man in so einem Moment über sein musikalisches Vermächtnis nach?

Tori Amos: Jeder Songwriter denkt darüber nach. Architekten sind da wohl ähnlich. Wird das Gebäude, das man gebaut hat, abgerissen? Der Auftritt der Kinder war ein sehr entwaffnendes Erlebnis. Sie waren so gut vorbereitet und haben die Musik in- und auswendig gekannt. In dem Moment habe ich begriffen, dass die Songs mit diesen Kindern befreundet waren.

Haben Sie die Tori-Amos-Bearbeitungen des Chores tatsächlich vorab auf YouTube gesehen?

Tori Amos: Mein Freund Neil Gaiman hat mich darauf hingewiesen und eines schönen Abends habe ich mir das Ganze mit meinem Mann angesehen. Es war ein wunderbarer Moment, aber ich habe es dann viele Monate nicht weiter verfolgt, da ich normalerweise nicht im Internet lebe.

Auch wenn Sie sagen, dass Sie nicht im Internet leben, macht die YouTube-Geschichte doch deutlich, dass hier einige Barrieren im Auflösen begriffen sind, die einen Künstler früher von seinem Publikum trennten. Wenn Sie wollten, könnten Sie mit einem Klick in ein Fanforum einsteigen und Kommentare über sich und Ihre Musik lesen oder sogar mitposten. Wie gehen Sie damit um?

Tori Amos: Mein persönliches Ich hat die bewusste Entscheidung getroffen, nicht daran teilzunehmen. Man muss das persönliche Ich und die kreative Kraft, die man ebenfalls ist und darstellt, für sich trennen können. Es kann nicht sein, dass man jeden Morgen nach dem Aufwachen von Millionen von Menschen beurteilt wird. Dafür hat man ein Team von Leuten und engen Freunden um sich wie jeder andere Mensch auch.

Haben Sie jemals nach Tori Amos gegoogelt?

Tori Amos: Das habe ich tatsächlich, auch wenn es schon sehr lange her ist. Aber es ist ein gefährliches Spiel. Das habe ich ebenfalls schon vor langer Zeit begriffen. Als Privatperson hat man Gefühle und weist Verletzbarkeiten auf wie jeder andere auch. Man kann aber nicht diesen Hut aufsetzen und mit der gleichen Intimität und Verletzbarkeit nach Tori Amos googlen. Denn dann steht man plötzlich mit nackter Haut vor einer Million Menschen da. Es erfordert eine gehörige Portion Disziplin. Für meine Integrität als kreative Künstlerin ist es aber unerlässlich.

Bei Ihrem jüngsten Konzert in Prag haben Sie mit einer berührenden Improvisation an die Revolution von 1989 erinnert. Glauben Sie an die politische Sprengkraft von musikalischen Botschaften oder ist Musik lediglich ein Spiegel vom Hier und Jetzt?

Tori Amos: Musik fungiert natürlich immer als Zeitzeugin. Indem sie das Hier und Jetzt widerspiegelt, ist sie manchmal aber auch das Zündholz, das man auf die Kienspäne wirft, um das Bewusstsein anzuzünden. Manchmal geht es auch um mehr als nur einen Song oder eine Musik. Dann wird es zu einem Trommelfeuer - mit einem Funken hier und einem Funken dort. Das war Anfang der 90er-Jahre so und ist jetzt wieder der Fall. Der Song «Velvet Revolution» («Samtene Revolution», Anm.) auf dem neuen Album knüpft an die Ereignisse in der ehemaligen Tschechoslowakei an. Geschrieben wurde er wegen der derzeitigen politischen Situation in den USA. Den damals dort vorherrschenden Geist haben jetzt wir für unsere Massen nötig.

Am Wochenende findet mit «Live Earth» einmal mehr ein politisches Musikgrossevent statt. Wie relevant sind derartige Shows oder sehen Sie sich eher als eine Verfechterin von verschlüsselten musikalischen Botschaften?

Tori Amos: Bei derartigen Grossereignissen geht es meist um das Event an sich und weniger um die Musik. Die Musiker sind in erster Linie da, um für die notwendige Aufmerksamkeit zu sorgen. Ich bin demgegenüber nicht negativ eingestellt, aber es muss einfach zu dem passen, was man macht. Was Sie aber auch ansprechen, ist Musik, die geschrieben und verschlüsselt wurde, um die Mauern des Status quo zu erschüttern.

Und Sie glauben, dass Musik dazu in der Lage ist?

Tori Amos: Natürlich glaube ich daran. Im Moment gibt es zwei Lager, die einen Krieg der Ideale führen. Die rechtskonservative christliche Bewegung arbeitet sehr stark mit limitierenden Stereotypen, Kategorien und Paradigmen. Denn man kann Leute viel leichter kontrollieren, wenn man ihre Persönlichkeit zerteilt und dann erobert. Nehmen Sie nur das Beispiel «Frauen» her. Da gibt es die Karrierefrau, das Flittchen, die Mutter, die Künstlerin. Während die Karrierefrau meist mit «unattraktiv» und «Miststück» gleichgesetzt wird und das Flittchen als «harmlos», aber «vulgär» gilt, kommt niemand auf die Idee eine Mutter mit Sexualität in Verbindung zu bringen. Warum eigentlich? Die mussten ja auch was tun, um uns hier auf die Welt zu schaffen, und das war nicht unbedingt etwas Vulgäres.

War das mit ein Grund, warum Sie für ihr aktuelles Album auf die fünf griechischen Frauenarchetypen als Interpretinnen der Songs zurückgegriffen haben?

Tori Amos: Die mythologische Einheit der göttlichen Weiblichkeit wurde spätestens mit der Machtergreifung des Christentums zerstört. Der Aphrodite-Archetyp wurde enorm verwässert, wie die simplifizierende mythologische Aufteilung in Maria Magdalena und die Heilige Mutter Maria zeigt. In Bezug auf die Jetztzeit muss das aber nicht so bleiben.

Herzlichen Dank für das Gespräch.

(dl/pte)

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