Buchbesprechung: Ein neuer Fall für Marie Machiavelli

Von Zeit zu Zeit schlüpft die Journalistin, Autorin und Filmemacherin Anne Cuneo in die Haut der Ermittlerin Marie Machiavelli, die sie vor fünf Jahren erschaffen hat.

Sie tut es immer dann, wenn sie ein Unrecht anprangern möchte. Im Fall von "Lisas Lächeln" geht es um Inzest und Mord, und darum, dass Verwandte und Nachbarn allzu oft wegschauen.

Mord vor 20 Jahren

Ein neunjähriger Mörder? Marie erhält den Auftrag, herauszufinden, ob der Mord an Lisa May vor 20 Jahren wirklich vom damals neunjährigen Yves begangen wurde.

Dieser hatte sich nämlich in eine Cousine von Lisa verliebt, wollte sie aber nicht mehr sehen, solange dieser Mordverdacht auf ihm lastet. Er selbst hat immer seine Unschuld beteuert.

Marie beginnt mit den Nachforschungen, unterstützt von ihrer treuen Sekretärin Sophie und Inspektor Léon, bekannt aus den ersten Machiavelli-Romanen. So nebenbei erfahren wir einiges über Doping bei Velorennen, ein anderer Fall, den Marie gerade bearbeitet.

Seltsame Veränderung

Obschon der Mord an Lisa schon 20 Jahre zurückliegt, erinnern sich die meisten Befragten - Verwandte, Freunde, Nachbarn - erstaunlich genau an die damaligen Ereignisse.

Es stellt sich heraus, dass sich Lisa, eine begabte Tänzerin, eines Tages von einem jungen, urplöstzlich von einem unschuldigen Mädchen in eine verführerische Frau verwandelt hatte, die jeden älteren Mann in ihr Bett zu kriegen versuchte.

Seltsamerweise hatte sich damals niemand Gedanken über diese Wandlung gemacht, nicht einmal ihr Onkel, von Beruf Psychiater.

Um so mehr Gedanken macht sich der Leser, und bald kommt er auf die richtige Spur. Bis der wirkliche Mörder überführt ist, muss allerdings noch einiges geschehen, beispielsweise ein Kunstraub, der es Cuneo erlaubt, auch dieses Thema abzuhandeln.

Es ist schade, dass die Autorin so viel in ihren dritten Machiavelli-Roman gepackt hat; weniger wäre mehr gewesen. Trotzdem ist "Lisas Lächeln" so spannend, dass Leser und Leserinnen das Buch erst dann weglegen, wenn sie sich von der Richtigkeit der Vermutungen überzeugt haben.

Wahre Geschichte

In einem überraschenden Nachwort erzählt Cuneo, dass "Lisas Lächeln" auf einer wahren Geschichte beruht.

Vor einiger Zeit stiess sie bei Recherchen für einen historischen Roman auf einen Zeitungsausschnitt aus den 30-er Jahren. "Mit neun Jahren des Mordes angeklagt, 20 Jahre später freigesprochen."

Cuneo: "Es war die reich mit Einzelheiten ausgestattete Geschichte von 'Yves', wie sie hier wiedergegeben wird, und die so endete, wie ich sie erzähle." Ein Beinbruch zwang die Autorin, ihre Recherchen zu unterbrechen.

In dieser unfreiwilligen Pause entstand "Lisas Lächeln". "Dieses Buch sollte mein ganz bescheidener Beitrag zum Kampf gegen Gewalt an Frauen und gegen die Vorurteile sein, die - aus welchen Gründen auch immer - zu juristischen Fehlurteilen führen können", sagt Cuneo.

Anne Cuneo, Lisas Lächeln. Limmat Verlag, Zürich, 290 Seiten, 36 Franken

(Ruth Binde, sfd)