Bundesrat Joseph Deiss steht vor der Bewährungsprobe

Erst dann werde sich zeigen, ob die Wirtschaftspolitik unter Deiss auch die Interessen der Arbeitnehmer und der Arbeitslosen berücksichtige, sagt Serge Gaillard, Chefökonom des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB).

Gaillard denkt dabei an die Einführung des revidierten Arbeitslosen-Versicherungsgesetzes (ALV). Die Gewerkschaften fordern, dass für Leute, die bereits vor der ALV-Revision arbeitslos waren, weiterhin die bisherige, längere Taggeld-Bezugsdauer gilt.

Laut Gaillard geht es darum, eine "riesige Aussteuerungswelle" zu verhindern. Bundesrat Deiss vertrat bislang jedoch den Standpunkt, dass für alle Arbeitslosen ab Inkrafttreten der Revision die gleiche Bezugsdauer gelten soll.

Deiss zu Passiv?

Parlamentarier und verschiedene Medien kritisierten die Wirtschaftspolitik unter Deiss als zu passiv. Nationalrätin Susanne Leutenegger Oberholzer (SP/BL) sah in den Antworten des Bundesrates auf die SP-Vorschläge zur Wirtschaftskrise eine resignative Haltung.

Die Gewerkschaftssprecher äussern sich zurückhaltender. Für eine Beurteilung, die über erste Eindrücke hinausreiche, sei es zu früh. "Auf Deiss lasten grosse Erwartungen", sagt Hugo Fasel, der Präsident der Gewerkschaftsdachverbandes Travail.Suisse und CSP-Nationalrat.

Der Vorsteher des Volkswirtschafsdepartementes (EVD) müsse sich der Hauptsorge der Schweizer Bevölkerung stellen: der hohen Arbeitslosigkeit.

Er müsse mutiger werden und eine aktive Konjunkturpolitik betreiben. Die Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Wirtschaft ist laut Fasel zwar wichtig, in der gegenwärtigen Situation jedoch ungenügend.

Rückenstärkung vom Wirtschaftsdachverband

Beim Wirtschaftsdachverband economiesuisse wird dagegen geschätzt, dass sich der EVD-Vorsteher in der Vergangenheit gegen ein Konjunkturprogramm ausgesprochen hat.

Es sei jetzt wichtig, dass Deiss bei dieser Haltung bleibe, auch wenn die Konjunktur in der Talsohle verharre, erklärt Rudolf Walser, der bei economiesuisse für Wirtschafts- und Bildungspolitik zuständig ist.

Als weiteren Test für Deiss definiert Walser die Revision des Fachhochschulgesetzes (FHSG). Der Bundesrat müsse sich mit den Kantonen schnellstmöglich auf einen Finanzierungsmodus einigen. Trotz knapper Mittel müsse eine einvernehmliche Lösung gefunden werden: "Der Prozess darf nicht ins Stocken geraten".

Lob vom Bauernverband

Am 10. April ist Joseph Deiss auch seit hundert Tagen Landwirtschaftsminister. Von Seiten der Bauernschaft erhält er Lob. Deiss habe habe sich gut in seine Dossiers eingearbeitet und bereits wichtige Geschäfte betreuen müssen, sagt der stellvertretende Direktor des Schweizerischen Bauernverbandes, Urs Schneider.

In der groben Linie der Schweizerischen Landwirtschaftspolitik ändere der Wechsel eines Bundesrates nicht viel. Man habe aber erwartet, dass die Kommunikation unter Deiss "geschickter" würde als unter seinem Vorgänger Pascal Couchepin. "Diese Erwartung hat sich erfüllt", sagt Schneider.

(Serge Kuhn/sda)