Turnen
Premiere mit Bruchlandung
publiziert: Sonntag, 29. Jul 2012 / 21:41 Uhr
Die 18-jährige St. Gallerin verpatzte in der Mehrkampf-Qualifikation an ihrem Paradegerät den zweiten Sprung.
Ein Sturz beim neuen zweiten Sprung weckte Giulia Steingruber aus ihrem olympischen Medaillentraum. Immerhin qualifizierte sich die Ostschweizerin für den Mehrkampffinal.
Irgendwie musste der Frust entladen werden. Im Kunstturnen wird Wert auf Disziplin und gute Manieren gelegt, Schreie des Entsetzens geziemen sich deshalb nicht. Giulia Steingruber schlug mit den Handflächen zweimal auf die Oberschenkel, schüttelte kurz den Kopf, verzog das Gesicht zur sauren Miene. Das musste reichen. Die 18-jährige Ostschweizerin brachte die grosse Enttäuschung gegen aussen so gut unter Kontrolle, dass es eine Leistung war. Sekunden zuvor war Steingruber bei ihrem zweiten Sprung gestürzt, der Vorstoss in den Gerätefinal der besten acht dadurch in weite Ferne gerückt. Stunden später, nach dem Auftritt von Europameisterin Sandra Izbasa, stand das Aus fest.
Die Bruchlandung hatte sich für Steingruber schon in der Luft angekündigt. "Ich erschrak ein bisschen, als die Matten so früh näher kamen", sagte sie. Die Olympia-Debütantin hatte ihren zweiten Sprung neben dem Tschussowitina, der ihr auch nicht besser als einigermassen gut gelang, im Hinblick auf die Olympischen Spiele um eine zweite Schraube erschwert. Die Wettkampfpremiere misslang gründlich; die Strategie, schon in der Qualifikation aufs Ganze zu gehen, wurde nicht belohnt.
Sicherer Sprung im Training
Cheftrainer Zoltan Jordanov hatten die Beobachtungen der Trainings in seiner Überzeugung bestärkt, die einfachere Variante mit einer Schraube würde wegen des um 0,8 Punkte tieferen Schwierigkeitswerts nicht für den Finaleinzug genügen. Auch wenn es nur eine Spielerei ist: Hätte Steingruber den Tsukahara nur mit einer Schraube geturnt und wäre er ihr so gut gelungen wie Mitte Mai im Qualifikationswettkampf der EM in Brüssel, hätte das zusammen mit dem Tschussowitina von gestern gereicht. Doch der Konjunktiv ist im Zusammenhang mit Sport eben meist der Sprachmodus für den Fall des Scheiterns.
Steingruber hatte im Training, auch im einzigen in der Wettkampfhalle am Donnerstag, bewiesen, dass sie ihren neuen Sprung kann. Und wenn nicht auch er vom Gelingen überzeugt gewesen wäre, hätte Jordanov seinen Schützling nicht gewähren lassen. Der gebürtige Ungar mit britischem Pass ist nicht als Hasardeur bekannt. Doch Steingruber fehlte beim Olympia-Debüt noch die Coolness. "Klar versucht man sich einzureden, es sei ein Wettkampf wie jeder andere. Aber im Hinterkopf denkt man trotzdem: Hey, Olympische Spiele gibt's nur alle vier Jahre", sagte Steingruber.
Zwei Gestürzte im Final
Als Ausrede wollte sie die angesprochene Nervosität keineswegs gelten lassen. Überhaupt wahrte Steingruber in der Interviewzone jederzeit Haltung. Der Umgang mit der schwierigen Situation war nicht nur für eine 18-Jährige beachtlich, sondern wäre auch jedem gestandenen Star gut angestanden. Steingruber bereute auch keinen Moment, die riskante Premiere gewagt zu haben. "Eigentlich kann ich es ja. Und mit einer Schraube wäre es knapp geworden."
Einen Vorwurf kann man weder Steingruber noch Jordanov machen. Zu ungünstig war die Auslosung in die zweite Abteilung, was bedeutete, dass die Schweizer Solistin vor ihren stärksten Gegnerinnen an die Reihe kam. Generell bewegte sich das Niveau am Sprung in unerwartet tiefen Bereichen. Einerseits griffen keine Chinesinnen sowie nur je eine Amerikanerin, Russin und Rumänin in den Kampf um die Finalplätze ein. Andererseits patzte Steingruber nicht als Einzige aus dem erweiterten Favoritenkreis.
An jedem anderen Gerät bedeutet ein Sturz in aller Regel das Aus. Am Sprung gelten wegen der vergleichsweise schmalen Konkurrenz eigene Gesetze. So schaffte Yamilet Pena Abreu aus der Dominikanischen Republik den Cut, obwohl sie beim fast wahnwitzig schwierigen Überschlag mit Doppelsalto auf dem Gesäss landete. Und Janine Berger, die das gleiche Repertoire wie Steingruber präsentierte, zog trotz Sturz beim Tschussowitina in den Final ein. Allein die Tatsache, dass die deutsche Newcomerin auch so noch um vier Zehntel besser war, untermauert, wie wenig bei Steingruber an diesem Unglückstag zusammenpasste.
Nach Sturz "wie gelähmt"
Wenigstens hatte der missglückte Tsukahara keinen Einfluss auf den Mehrkampf. In diese Wertung fliesst jeweils nur der erste Sprung ein. Beim Scheitern dürfte aber mitgespielt haben, dass Steingruber zuvor schon bei einem geschraubten Vorwärtssalto am Boden gestürzt war. "Nach dem Fehler am Boden war Giulia wie gelähmt", sagte Jordanov. "Vielleicht waren die Erwartungen und der Druck zu gross." Der Trainer selber hatte das Wort "Medaille" im Zusammenhang mit Steingruber und London 2012 stets gemieden wie der Teufel das Weihwasser und alles unternommen, um die Erwartungen zu dämpfen.
Steingruber gelang nur am Startgerät Schwebebalken eine einwandfreie Übung. Dennoch erreichte sie im bereinigten Mehrkampf-Ranking den geforderten Rang unter den ersten 24, womit sie am Donnerstag zu einem zweiten Einsatz kommt. Der Bereinigung - pro Nation sind in den Einzelfinals nur zwei Turnerinnen startberechtigt - fiel unter anderen die Weltmeisterin Jordyn Wieber zum Opfer. Mit Alexandra Raisman und Gabrielle Douglas waren zwei Kolleginnen aus dem US-Team minim besser. Dass Steingruber im Finalistinnen-Kreis der Königsdisziplin Unterschlupf gefunden hat, ist zumindest ein Trostpflaster für das Malheur am Paradegerät. Eine nächste Chance auf die erste Olympia-Medaille einer Schweizer Kunstturnerin bietet sich ihr vielleicht 2016 in Rio de Janeiro. Mit 22 ist Steingruber dann im besten Alter.
Die Bruchlandung hatte sich für Steingruber schon in der Luft angekündigt. "Ich erschrak ein bisschen, als die Matten so früh näher kamen", sagte sie. Die Olympia-Debütantin hatte ihren zweiten Sprung neben dem Tschussowitina, der ihr auch nicht besser als einigermassen gut gelang, im Hinblick auf die Olympischen Spiele um eine zweite Schraube erschwert. Die Wettkampfpremiere misslang gründlich; die Strategie, schon in der Qualifikation aufs Ganze zu gehen, wurde nicht belohnt.
Sicherer Sprung im Training
Cheftrainer Zoltan Jordanov hatten die Beobachtungen der Trainings in seiner Überzeugung bestärkt, die einfachere Variante mit einer Schraube würde wegen des um 0,8 Punkte tieferen Schwierigkeitswerts nicht für den Finaleinzug genügen. Auch wenn es nur eine Spielerei ist: Hätte Steingruber den Tsukahara nur mit einer Schraube geturnt und wäre er ihr so gut gelungen wie Mitte Mai im Qualifikationswettkampf der EM in Brüssel, hätte das zusammen mit dem Tschussowitina von gestern gereicht. Doch der Konjunktiv ist im Zusammenhang mit Sport eben meist der Sprachmodus für den Fall des Scheiterns.
Steingruber hatte im Training, auch im einzigen in der Wettkampfhalle am Donnerstag, bewiesen, dass sie ihren neuen Sprung kann. Und wenn nicht auch er vom Gelingen überzeugt gewesen wäre, hätte Jordanov seinen Schützling nicht gewähren lassen. Der gebürtige Ungar mit britischem Pass ist nicht als Hasardeur bekannt. Doch Steingruber fehlte beim Olympia-Debüt noch die Coolness. "Klar versucht man sich einzureden, es sei ein Wettkampf wie jeder andere. Aber im Hinterkopf denkt man trotzdem: Hey, Olympische Spiele gibt's nur alle vier Jahre", sagte Steingruber.
Zwei Gestürzte im Final
Als Ausrede wollte sie die angesprochene Nervosität keineswegs gelten lassen. Überhaupt wahrte Steingruber in der Interviewzone jederzeit Haltung. Der Umgang mit der schwierigen Situation war nicht nur für eine 18-Jährige beachtlich, sondern wäre auch jedem gestandenen Star gut angestanden. Steingruber bereute auch keinen Moment, die riskante Premiere gewagt zu haben. "Eigentlich kann ich es ja. Und mit einer Schraube wäre es knapp geworden."
Einen Vorwurf kann man weder Steingruber noch Jordanov machen. Zu ungünstig war die Auslosung in die zweite Abteilung, was bedeutete, dass die Schweizer Solistin vor ihren stärksten Gegnerinnen an die Reihe kam. Generell bewegte sich das Niveau am Sprung in unerwartet tiefen Bereichen. Einerseits griffen keine Chinesinnen sowie nur je eine Amerikanerin, Russin und Rumänin in den Kampf um die Finalplätze ein. Andererseits patzte Steingruber nicht als Einzige aus dem erweiterten Favoritenkreis.
An jedem anderen Gerät bedeutet ein Sturz in aller Regel das Aus. Am Sprung gelten wegen der vergleichsweise schmalen Konkurrenz eigene Gesetze. So schaffte Yamilet Pena Abreu aus der Dominikanischen Republik den Cut, obwohl sie beim fast wahnwitzig schwierigen Überschlag mit Doppelsalto auf dem Gesäss landete. Und Janine Berger, die das gleiche Repertoire wie Steingruber präsentierte, zog trotz Sturz beim Tschussowitina in den Final ein. Allein die Tatsache, dass die deutsche Newcomerin auch so noch um vier Zehntel besser war, untermauert, wie wenig bei Steingruber an diesem Unglückstag zusammenpasste.
Nach Sturz "wie gelähmt"
Wenigstens hatte der missglückte Tsukahara keinen Einfluss auf den Mehrkampf. In diese Wertung fliesst jeweils nur der erste Sprung ein. Beim Scheitern dürfte aber mitgespielt haben, dass Steingruber zuvor schon bei einem geschraubten Vorwärtssalto am Boden gestürzt war. "Nach dem Fehler am Boden war Giulia wie gelähmt", sagte Jordanov. "Vielleicht waren die Erwartungen und der Druck zu gross." Der Trainer selber hatte das Wort "Medaille" im Zusammenhang mit Steingruber und London 2012 stets gemieden wie der Teufel das Weihwasser und alles unternommen, um die Erwartungen zu dämpfen.
Steingruber gelang nur am Startgerät Schwebebalken eine einwandfreie Übung. Dennoch erreichte sie im bereinigten Mehrkampf-Ranking den geforderten Rang unter den ersten 24, womit sie am Donnerstag zu einem zweiten Einsatz kommt. Der Bereinigung - pro Nation sind in den Einzelfinals nur zwei Turnerinnen startberechtigt - fiel unter anderen die Weltmeisterin Jordyn Wieber zum Opfer. Mit Alexandra Raisman und Gabrielle Douglas waren zwei Kolleginnen aus dem US-Team minim besser. Dass Steingruber im Finalistinnen-Kreis der Königsdisziplin Unterschlupf gefunden hat, ist zumindest ein Trostpflaster für das Malheur am Paradegerät. Eine nächste Chance auf die erste Olympia-Medaille einer Schweizer Kunstturnerin bietet sich ihr vielleicht 2016 in Rio de Janeiro. Mit 22 ist Steingruber dann im besten Alter.
(fest/Si)
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