Zocker-Analysten

publiziert: Montag, 25. Okt 2010 / 10:37 Uhr / aktualisiert: Montag, 25. Okt 2010 / 12:21 Uhr
Premier Wen Jiabao und Parteichef Hu Jintao: Vermächtnis für die Zukunft im Fünfjahresplan
Premier Wen Jiabao und Parteichef Hu Jintao: Vermächtnis für die Zukunft im Fünfjahresplan

Die Ankündigung, dass die chinesische Zentralbank die Leitzinsen etwas anhebt, liess sogenannte Analysten in Panik ausbrechen. Kein sehr analytisches Verhalten, wie Kolumnist Peter Achten meint.

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Kurzlebig ist der Horizont der Börsen-Analysten. Für den Normalverbraucher wird parallel dazu die Aufmerksamkeitsspanne, munter unterstützt von den Medien, immer kürzer. Wenn der Sachverhalt nicht so ernst wäre, könnte man darüber hinwegsehen. Es geht aber um Weltwirtschaft und mithin auch um den sozialen und politischen Frieden.

Da schrieb ein Wirtschaftsredaktor einer sich als Qualitätsblatt verstehenden Schweizer Tageszeitung allen Ernstes unter dem Rubriktitel «Wirtschaft.Analyse», dass Analysten «bereits das eigentliche Ende des chinesischen Wirtschaftsbooms und damit das Wegbrechen der Säule für die Erholung der globalen Wirtschaft» befürchteten. In etwas holprigem Deutsch zitiert der Wirtschaftsredaktor des Blattes, dessen Namen hier höflich verschwiegen sei, nicht näher definierte «Analysten». Und warum diese Befürchtungen? Die Volksbank, die chinesische Notenbank, hat zum ersten mal seit drei Jahren den Leitzinssatz um einen Viertel Prozentpunkt auf 5,56% angehoben. «Doch so weit ist es nicht», das heisst, das Ende sei doch noch nicht in Sicht, wird der Leser völlig unanalytisch mit chinesischen Wachstumszahlen getröstet.

Wow! Was für eine profunde Analyse. Ausgeblendet bleibt ein Blick auf die pragmatische Art, wie Chinas Regierung nachhaltiges Wachstum generieren will, unbekümmert um Druck von Aussen, z.B. in der Währungsfrage. Zum Zocken an der Börse freilich wäre eine genauerer Analyse nur hinderlich.

Trotzdem: aus aktuellem Anlass wäre ein Blick auf den neuen 5-Jahres-Plan nützlich, auch wenn sich bei Börsianern mit kurzem Langzeitgedächtnis, aber auch bei Politikern und liberalen Ökonomen mit weiterem Zeithorizont die Haare sträuben sollten. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts und am Anfang des vierten Jahrzehnts der chinesischen Wirtschaftsreform zu Unrecht allerdings. Mit dem real existierenden Sozialismus sowjetischer und ostdeutscher Prägung nämlich hat der chinesische Planungsakt nichts mehr zu tun. Der jetzt vom Zentralkomitee in Peking – kurz vor der Leitzinserhöhung – verabschiedete Plan für die Jahre 2011 bis 2015 gibt vielmehr die wirtschaftlichen, sozialen und politischen Leitplanken für die nahe Zukunft vor. Dieses staatskapitalistische, autoritäre Modell der «sozialistischen Marktwirtschaft chinesischer Prägung» wird mittlerweile in Schwellen- und Entwicklungsländern als valabler Gegenentwurf zur westlich-liberalen, demokratischen Methode verstanden.

Die Kernpunkte des neuesten 5-Jahresplanes sollen das steile Wirtschaftswachstum «nachhaltig» machen. Bis ins Jahr 2015 nämlich wir das Brutto-Inlandprodukt – so sieht es heute aus – nochmals um 50 Prozent auf satte 7,5 Billionen amerikanischer Dollar wachsen. Deshalb wird Umwelt, Energie, und Informations-Technologie (IT) im Planungsentwurf ganz gross geschrieben. Ökonomisch gesprochen soll das Wachstum in Zukunft immer mehr von der Binnen-Nachfrage genährt werden und weniger hauptsächlich von Export und ausländischen Investitionen.

Diese Ziele sind vor allem auch politisch zu verstehen. Vor acht Jahren nämlich sind Staats- und Parteichef Hu Jintao und Premierminister Wen Jiabao mit dem durchaus «sozialistischen» Anspruch angetreten, die Gesellschaft gerechter, egalitärer, ausgeglichener zu machen. Dieser Anspruch fand am Parteitag 2007 seinen Niederschlag in der durchaus konfuzianisch geprägten Parteilinie einer «harmonischen Gesellschaft». Die Resultate sind bis jetzt nicht besonders ermutigend.

In zwei Jahren, beim nächsten Parteitag, wird die jetzige Führung nach zehnjähriger Amtszeit abgelöst. Deshalb ist die Verabschiedung des 5-Jahres-Planes wie ein Vermächtnis für die Zukunft. Es würde gewiss nichts schaden, wenn auch «Analysten» für einmal ihren Aufmerksamkeitshorizont etwas erweiterten und eine Leitzinserhöhung der chinesischen Notenbank weniger unbedarft kommentieren könnten. In einer Nordwestschweizerischen sogenannten Qualitätszeitung notabene und jenseits aller Sachkenntnisse, die man sich normalerweise im ersten Semester eines Ökonomiestudiums aneignet.

(von Peter Achten/news.ch)

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