Emissionen senken - klar, aber wo?
Klimaneutrale Produkte sind beliebt: Entsprechende Label beruhigen das ökologische Gewissen und versprechen, die nachhaltige Entwicklung ärmerer Länder durch Reduktionsprojekte vor Ort zu fördern. Doch ist die CO2-Kompensation im Ausland nach den Klimaverhandlungen in Paris überhaupt noch zeitgemäss?
Ich will es noch etwas genauer wissen
Auf der angegebenen Webseite erklärt man mir: «Bei Anbau, Herstellung und Transport wird der CO2-Ausstoss so gering wie möglich gehalten. Nicht vermeidbare Umweltbelastungen kompensieren wir durch den Bau von Biogasanlagen sowie effiziente Holzöfen und stellen sicher, dass der CO2-Ausstoss direkt vor Ort kompensiert wird.»
Beim Stichwort «CO2-Kompensation im Ausland» gehen mir verschiedene Flashbacks durch den Kopf: Wie ich in den Anfängen des Kompensationsgeschäfts als Experte tätig war, wie schwierig damals gute CO2-Kompensationsprojekte zu finden waren, und wie ich einst als Vertreter der ETH nach einem Vortrag in Indien heftig angegriffen wurde; und ich denke an die Diskussionen kürzlich in der Presse, ob CO2-Kompensationen im Ausland nach den Klimaverhandlungen in Paris überhaupt noch zeitgemäss sind. Meine Antwort darauf lautetet: Nein.
Störanfälliger Reduktions-Mechanismus
Als Grossvater des Begriffs «Graue Energie» interessiere ich mich seit den frühen 70-er Jahren für Prozessketten und Systemgrenzen - beides Aspekte, die bei der CO2-Kompensationen im Ausland über den sogenannten Clean Development Mechanism (CDM) eine Rolle spielen. CDM ist ein zentraler Mechanismen des Kyoto-Protokolls, der es - vereinfacht gesagt - reduktionswilligen Industriestaaten erlaubt, Energiesparprojekte in ärmeren Ländern zu finanzieren (in der Regel Entwicklungsländer, die sich im Kyoto-Protokoll nicht zu Reduktionen verpflichtet haben). Die Idee dahinter: Emissionen dort senken, wo es günstig ist, und gleichzeitig ärmeren Staaten ermöglichen, sich nachhaltig zu entwickeln.
Dass dieser Mechanismus fehleranfällig ist, liegt auf der Hand: Vor Jahren wurden Systemgrenzen oft unsauber gezogen, so dass eine Energiesparmassnahme (und die damit verbundene CO2-Emissionsreduktion) auf Kosten eines Mehrverbrauchs ausserhalb der Systemgrenzen erfolgte. Heute gibt es zwar Regeln, die dies verbieten. Doch ist es immer noch sehr schwierig, die Reduktionsleistung eines CDM-Projekts genau zu beziffern, weil man diese nur durch den Vergleich mit einem Referenzprojekt ohne CDM-Geld ermitteln kann. Wie dieses fiktive Referenzprojekt aussieht, ist eine Ermessensfrage. Man vergleicht das CDM-Projekt (etwa ein effizientes Gaskraftwerk) nicht mit dem Ist-Zustand (gar kein Kraftwerk), sondern mit einem hypothetischen Projekt, wie es ohne CDM-Geld gebaut würde (schmutziges Kohlekraftwerk). Im Vergleich mit dem Ist-Zustand stellen die meisten CDM-Projekte also einen Mehrverbrauch dar.
Falsche Anreize
Ein weiteres Beispiel zur Verdeutlichung: In der oben erwähnten Diskussion an einer Indischen Universität griff mich der junge Mann an, weil er einen Fachartikel von ETH-Kollegen gelesen hatte, in dem ein bestimmter Wirkungsgrad eines Prozesses als «State of the Art» bezeichnet wurde. Was war daran so schlimm? Nichts. Die Aussage stimmte und war auch im Kontext von Entwicklungsländern völlig korrekt. Der Grund lag vielmehr darin, dass der junge Mann für eine Consulting-Firma im CDM-Geschäft arbeitete. Da der CO2-Kredit, den ein CDM-Projekt erwirtschaftet, massgeblich von den Wirkungsgraden der im Referenzprojekt verwendeten Technik abhängt, definieren viele Entwicklungsländer den «State of the Art» zu ihren Gunsten und halten die Wirkungsgrade und Umweltstandards bewusst tief, um möglichst viel CDM-Geld zu erhalten. Das bedeutet aber, dass auch viele Projekte, die nichts mit CDM zu tun haben, nicht auf der Höhe des technischen Fortschritts geplant werden.
Abschied vom Ablasshandel im Ausland
Doch das wird sich nun bald ändern. Die Schweiz setzt zwar immer noch auf Kompensation im Ausland. Da heute aber alle Länder Emissionsgrenzen einhalten wollen, ist dies auf internationaler Ebene systemfremd. Soll man den Entwicklungsländern, die nun auch ihre Ziele erfüllen müssen, verbieten, die durch CDM-Projekte «eingesparten» CO2-Emissionen in ihren eigenen Ländern mitzurechnen? Falls ja, wie würde das gerechnet und von wem kontrolliert? Spätestens seit der COP in Paris sollte man den Mut haben, auch die Schattenseiten des CDM zu benennen. Bemühungen, das CO2-Kompensationsbusiness in das Post-Paris-Regime zu überführen, sind meines Erachtens fruchtlos und kontraproduktiv. Die Kompensation im Ausland wird in der Schweiz immer wieder kritisiert, weil dadurch die Reduktionen im Inland vernachlässigt wird. Dass CDM seinem Anspruch nicht gerecht wird, eine nachhaltige Entwicklung zu fördern, ist ein weiterer wichtiger Grund, sich von der Kompensation im Ausland zu verabschieden.
Ein alternativer Ansatz
Wie gesagt, ich habe mich beim Kauf des Pullovers am Label sehr gefreut. Doch meine ich, dass die meisten Kunden unter «CO2-neutral» verstehen, der Pullover sei ohne fossile Brennstoffe erzeugt worden. Spätestens wenn man sieht, dass die Baumwolle aus Tansania und Indien stammt und der Pullover in China entsteht, dürften einige Fragezeichen auftauchen.
Vor einiger Zeit haben mein Sohn und ich auf dieser Plattform ein alternatives Label vorgeschlagen: «CO2-versichert». Der Anspruch ist bescheidener; es wird nicht suggeriert, dass keine fossilen Brennstoffe verwendet werden. Die Idee ist vielmehr, dass für die verwendeten fossilen Brennstoffe ein Aufpreis bezahlt wird, der hoch genug ist, um CO2-Reduktions- und Adaptionsprojekte zu finanzieren und für Schäden durch den Klimawandel aufzukommen. Da bei diesem Vorschlag alle Produzenten fossiler Brennstoffe - in welchem Land sie auch sind - gleiche Aufpreise zahlen, wäre das Label mit den Beschlüssen von Paris kompatibel. Auch hier würden die Zahlungen vorzugsweise in die Entwicklungsländer fliessen.
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