Wenn Emotionen regieren

publiziert: Mittwoch, 11. Feb 2004 / 13:00 Uhr

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Am Wochenende wurde die im Vorfeld sehr umstrittene Verwahrungsinitiative von Volk und Ständen klar angenommen. Dies trotz begründeter und schwerer Einwände aus politischen und juristischen Kreisen.

Diese hatten in die Diskussion inhaltliche Schwächen der Initiative eingebracht, die diesen neuen Artikel praktisch unausführbar machen. Doch scheinbar hat bei einer solch hoch-emotionalen Thematik die trockene Realität keine Chance gegen die erträumte Fiktion.

Nochmals auf die Schwächen der Verwahrungsinitiative einzugehen ist müssig. Damit können sich in den kommenden Monaten und Jahren Juristen und Politiker herumschlagen. Vielmehr stellen sich grundsätzliche Fragen zu den Volksabstimmungen. Schon die Thematik der Abstimmungen über Einbürgerungen hat zum Teil die zweifelhafte Qualität der Volksmeinung zum Vorschein gebracht.

Die Silbe -ic hat mitunter zur Ablehnung von Einbürgerungen geführt und es kann davon ausgegangen werden, dass nur die wenigsten der Stimmbürger die Personen hinter dem von ihnen ausgegrenzten Namen kannten. Auch hier handelte es sich um emotionale Entscheide.

Solche Entscheide sind allerdings begreiflich: Seit Jahren befindet sich die Schweiz in einer ökonomischen und psychologischen Krise. Das vom Zweiten Weltkrieg an aufgebaute Selbstbewusstsein ist seit dem Zusammenbruch des Ostblocks unter ständigem Beschuss.

Die Führerschaft in der europäischen Wohlstandshitparade steht ebenso auf dem Spiel - ist teilweise auch schon verspielt - wie das Image als Musterknabe auf dem Parkett der Weltpolitik. Die wirtschaftliche und politische Inselseligkeit wich der Realisation, dass man Teil einer Welt ist, welche die süsse, kleine Schweiz immer weniger mit Wohlwollen betrachtet. Die Schweiz ist in den Augen vieler nichts Besonderes mehr.

Doch die Sehnsucht nach der heilen Schweizer Milchschoggi- und Heidi-Welt ist immer noch vorhanden. Der Wunsch, die böse Welt auszuschliessen und helvetische Urwerte zurückzuholen, ist gross, so unmöglich dieses Ansinnen auch ist. Das Resultat ist eine emotionalisierte Wahrnehmung der Wirtschaft, der Politik, der Umwelt. Grautöne werden zunehmend ignoriert.

Stattdessen wird die Weltsicht immer mehr zum schwarz-weissen Holzschnitt. Auf der einen Seite die Linken, die Classe Politique, die Naturzerstörer, die kriminellen Ausländer, die Scheininvaliden, die Verbrecher. Auf der anderen Seite die heile Schweiz, die es zu verteidigen gilt. Dies erklärt auch die Avanti-Gegenvorschlag-Ablehnung, die trotz SVP-Unterstützung bachab ging, weil sie als Angriff auf die Alpen und so auf das Herz Helvetiens wahrgenommen wurde.

Doch genau diese Emotionen gehören aus den politischen Entscheidungen verbannt. Denn Politik adressiert die Realität. Wunschdenken ist hier fehl am Platz. Wer Probleme lösen will, muss meist komplexe, unübersichtliche Wege beschreiten, denn die einfachen Wege sind vielleicht verlockend, können aber schnell in einen Abgrund ohne Wiederkehr führen.

Wut und Verzweiflung sind auf der persönlichen Ebene als Reaktion auf traumatische Ereignisse durchaus verständlich. Doch um auf einer erweiterten Ebene die grundlegenden Probleme zu lösen, ist analytisches, emotionsloses Handeln gefragt. Ein schwieriger Weg, den Stimmbürger scheinbar immer weniger zu begehen bereit sind. Die ist zwar begreiflich, aber trotzdem sehr bedauerlich.

(von Patrik Etschmayer/news.ch)

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